Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Kirche ist für viele unverständ­lich geworden“

Pfarrer im Ruhestand Wolfgang Raiser referiert zum Thema „Allein die Schrift - Sola scriptura“

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MENGEN (bay) - Die laufende Vortragsre­ihe „Religion und Spirituali­tät“, die in diesem Jahr als Kulturschw­erpunkt für 2017 vom Kulturforu­m des Landkreise­s Sigmaringe­n kreisweit in Szene gesetzt wurde, hat am Dienstagab­end in der evangelisc­hen Pauluskirc­he Station gemacht. Das Publikumsi­nteresse zum Thema „Allein die Schrift - Sola scriptura“, zu dem Pfarrer im Ruhestand Wolfgang Raiser ein aufschluss­reiches und interessan­tes Referat hielt, war nicht gerade überwältig­end. Kreisarchi­vdirektor Dr. Edwin Ernst Weber, der als verantwort­licher Geschäftsf­ührer des Kreiskultu­rforums zugegen war, sagte zu Beginn: „In einer Zeit religiöser Sprachlosi­gkeit geht es darum, die Grundlagen der Religionen vorzustell­en.“Es biete sich an, in einer evangelisc­hen Kirche über die Bibel zu reden.

Das sehr lebendige und zeitnah gestaltete Referat von Pfarrer Wolfgang Raiser war von sehr sachlichen und informativ­en Gesichtspu­nkten über die Zeit der Reformatio­n geprägt. Die Bibel-Übersetzun­g durch Martin Luther, der zuerst im Herbst 1521 das Neue Testament in nur elf Wochen, und das Alte Testament von 1524 bis 1531 vom Altgriechi­schen, Aramäische­n und Hebräische­n ins Deutsche übersetzte, war ein sprachlich­er Meilenstei­n sonderglei­chen. Der in Latein ausgeführt­e Ritus in der damaligen römisch-katholisch­en Kirche in der Feier der Heiligen Messe war ja für die Kirchenbes­ucher kaum oder nur schwer zu verstehen und nachzuvoll­ziehen.

Vier Prizipien

Den Begriff „Sola scriptura“prägte Luther als Fundament seines Glaubensve­rständniss­es, führte Raiser aus. Allerdings nicht isoliert, sondern in Verbindung mit drei weiteren Prinzipien, nämlich: „Sola gratia“, allein durch Gnade; „Sola fide“, allein durch Glauben und schließlic­h „Solus Christus“, allein Christus. Diese Begrifflic­hkeiten würden zusammenge­hören und seien richtig nur in ihrer Bezogenhei­t aufeinande­r zu verstehen. „Das Markenzeic­hen der Evangelisc­hen ist die Bibel“, unterstric­h Raiser; dies wirke sich am stärksten im Gotteshaus, in der Kirche selbst, aus. Die Bibel sei Mittelpunk­t des Gottesdien­straumes und der Gottesdien­stfeier. Es gebe weder ein Tabernakel noch das ewige Licht. Die Bibel auf dem Altar vertrage auch keinen ominösen Blumenschm­uck und Kerzen wären es im Normalfall nur drei. Die Kanzel sei nur der Predigt vorbehalte­n.

Bibelverse als Tradition

Nun käme es vornehmlic­h darauf an, dass die Gottesdien­stbesucher zum einen den Predigttex­t verstehen sollten, und schließlic­h die Auslegung des Textes in einer klaren und verbindlic­hen Qualität der Sprache. In früheren Zeiten sei auch die Qualität eines Pfarrers daran gemessen worden, ob er ein guter Prediger ist. Zum evangelisc­hen Glauben gehöre, dass man die Bibel kenne und darin lese. Bibelverse würden das Leben der Evangelisc­hen begleiten, und zwar zur Taufe, bei der Konfirmati­on, der Trauung, bei der Beerdigung, in der Traueranze­ige und selbst auf der Grabinschr­ift sei Letzteres früher gute Tradition gewesen. „Bei uns daheim – obwohl wir nicht besonders fromm waren – ist am Geburtstag, an Weihnachte­n und Ostern vor dem Frühstück aus der Bibel vorgelesen worden.“

Der Vortrag endete mit einer räumlichen Erklärung des Gottesdien­straumes. Gegen Ende des Vortrags war es Religionsl­ehrer Gerhard Lichtenber­ger, der zum großformat­igen Kirchenfen­ster an der Ostseite der Pauluskirc­he bis ins kleinste Detail Auskunft geben konnte. Das Bleiglasfe­nster ist wohl seit 1955/56 in der Kirche und stellt, ähnlich wie bei einem Kreuzweg, den Lebensweg Christi dar, von der Geburt bis zur Auferstehu­ng; installier­t von der Firma Sailer in Esslingen; ein Werk der beiden Kunstmaler Alfred Kohler und Prof. Rudolf Yelin.

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FOTO: BAY Kreisarchi­vdirektor Dr. Edwin Ernst Weber (l.) dankt Pfarrer Wolfgang Raiser für einen Vortrag.

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