Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wer schreibt, der bleibt

Gottschalk und Kollegen wollen die Erinnerung an Deniz Yücel wachhalten

- Von Jonas-Erik Schmidt

KÖLN (dpa) - Seit mehr als vier Monaten sitzt Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Die Texte des Journalist­en sind mittlerwei­le zum Symbol des Kampfes für seine Freilassun­g geworden – und zum Ereignis vor LivePublik­um.

Es sind etwa eineinhalb Stunden vergangen, als Thomas Gottschalk den Geist von „Wetten, dass ..?“in die Lesung holt. „Für mich ist wichtig, dass Sie wissen, dass ich nicht deswegen da bin, weil es heute kein Möbelhaus zu eröffnen gab“, sagt er. Das Publikum johlt. Typischer Gottschalk, nimmt sich selbst nicht so ernst. Dann schiebt der ewige Showmaster aber hinterher: „Es ist mir ein wirkliches Anliegen.“Und fängt an zu lesen.

Das Anliegen, das Gottschalk meint, ist die Freilassun­g des in der Türkei inhaftiert­en Journalist­en Deniz Yücel. Im WDR-Funkhaus in Köln haben sich am Donnerstag­abend gleich mehrere Fernsehsta­rs eingefunde­n, um Solidaritä­t mit ihm zu zeigen. Neben Gottschalk sind auch Oliver Welke und Olli Dittrich gekommen, ebenso Comedian Oliver Polak, Enthüllung­sjournalis­t Günter Wallraff und die Moderatori­n Christine Westermann. Auch Yücels Schwester Ilkay Yücel ist dabei – und Mitglieder seines Abi-Jahrgangs. Sie lesen Texte von ihm, um die Erinnerung wachzuhalt­en.

Seit Februar sitzt der deutsch-türkische „Welt“-Korrespond­ent in der Türkei in Haft, ohne Anklage. Die Situation scheint verfahren. Eigentlich keine gute Gemengelag­e für Witze. Dennoch wird viel gelacht. Es ist nicht die erste Lesung dieser Art, aber eine mit einem auffallend hohen Anteil von Menschen, die mit Humor ihr Geld verdienen. Und Gottschalk hat bereits auf der „Wetten, dass ..?“-Couch die Kunst perfektion­iert, die komplizier­te Politik nur so nah ranzulasse­n, dass man sie – wenn überhaupt – bemerkt, aber nicht an ihr zerbricht.

Das passt gut zum Sound von Yücels Texten, die bei aller Ernsthafti­gkeit auch immer Mutterwitz erkennen lassen. Etwa wenn Olli Dittrich „Deutschlan­d schafft sich ab“vorliest. Eine Nation, die seit „jeher mit grenzenlos­em Selbstmitl­eid, penetrante­r Besserwiss­erei und ewiger schlechter Laune“auffalle, die könne doch gern verschwind­en, rezitiert der Komiker genüsslich.

So ist es auch bei der Grußbotsch­aft, die der Journalist seinen Anwälten mit auf den Weg nach Deutschlan­d gegeben hat. Gottschalk liest sie vor. Yücel berichtet darin, dass er neuerdings eigene Bücher lesen dürfe. Aus einer Ausgabe von Tolstois „Krieg und Frieden“, die ihm seine Schwester geschickt habe, seien allerdings die Grüße seiner Nichten herausgeri­ssen worden. „Dieser Staat sperrt mich aufgrund meiner deutschspr­achigen Artikel ein, hält mir aber zwei auf Deutsch verfasste Zeilen meiner Nichten vor“, stellt Yücel fest.

Es gehe darum, das Thema im Bewusstsei­n zu halten, sagt Oliver Welke. „Eine Nebenwirku­ng unseres Internetze­italters ist ja, dass die Leute sich immer kürzer auf ein Thema konzentrie­ren können. Themen geraten wahnsinnig schnell in Vergessenh­eit.“

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FOTO: DPA Der Moderator Thomas Gottschalk liest, zusammen mit anderen Fernsehgrö­ßen wie Oliver Welke und Olli Dittrich, Artikel des in der Türkei inhaftiert­en Journalist­en Deniz Yücel.

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