Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auto-Revolution­äre:

Drei junge Münchner wollen mit ihrem Solarauto durchstart­en.

- Von Patrik Stäbler

D● er Weg zu den selbst ernannten Auto-Revolution­ären führt am Münchner Westfriedh­of vorbei. Doch wer nun auf den Mittleren Ring fährt und plötzlich im Schatten von BMWWelt, BMW-Museum und BMWVierzyl­inder steht, der ist schon zu weit. Denn zwischen diesem Triumvirat des bayerische­n Automobils­tolzes und den rund 40 000 Gräbern des Friedhofs gibt es eine schmale Straße namens Agnes-Pockels-Bogen, und die führt geradewegs zur Keimzelle der Revolution, wenn man so will.

Genauer gesagt ist es ein mehrstöcki­ger Glaskasten, an dessen Fassade der Schriftzug „Münchner Technologi­ezentrum“prangt. Hier stellt die Stadt rund hundert jungen Start-upUnterneh­men Räume und Beratung zur Verfügung. Und hier sitzen auch die zwölf Mitarbeite­r der Firma Sono Motors, die von nichts weniger träumen, als den Markt für Elektroaut­os zu revolution­ieren.

„Hallo, ich bin Jona“, sagt Jona Christians zur Begrüßung, stellt seine Teetasse auf einen Start-up-gemäßen Tisch aus unbehandel­ten Holzbrette­rn und knipst ein strahlende­s Lächeln an, das sich während des ganzen Gesprächs kaum mal verdunkelt. Der 23-Jährige sieht ein wenig aus wie der Fußballer André Schürrle – aber vielleicht denkt man das auch nur, weil sein Schulfreun­d und Mit-Gründer Laurin Hahn einem anderen Profi-Kicker fast aufs Haar gleicht, nämlich Mats Hummels.

Schürrle und Hummels, also Jona Christians und Laurin Hahn, haben gemeinsam mit ihrer früheren WGMitbewoh­nerin Navina Pernsteine­r die Firma Sono Motors gegründet, deren Name lateinisch „ich töne“bedeutet. Das passt einerseits gar nicht – schließlic­h baut die Firma Elektroaut­os, die ungleich weniger tönen als die Verbrennun­gsmotoren der Konkurrenz. Anderersei­ts vermag Jona Christians durchaus zu tönen, wenn er über die großen Autokonzer­ne Sätze sagt wie: „Sicher sind sie im Vergleich zu uns Goliath – aber ein Goliath mit Gummifüßen.“Oder: „Von der Größe sind wir anders aufgestell­t, aber in puncto Innovation sind wir auf Augenhöhe.“

Alte Schulfreun­de

Rückblick: Im Jahr 2012 besuchen Jona Christians und Laurin Hahn die zwölfte Klasse einer Waldorfsch­ule in München. Das Abitur ist in Sichtweite, „und so haben wir uns überlegt, was wir nach der Schule machen“, erzählt Jona Christians. „Denn wir wollten beide keinen Nine-to-Five-Job.“Obwohl die Schulfreun­de so gar nicht dem Klischee des Autobastle­rs entspreche­n – Jona Christians hat bis heute kein eigenes Fahrzeug – beschließe­n sie, es in diesem Bereich zu probieren. Ihr Plan schon damals: ein Elektroaut­o, dessen Batterie nicht nur an der Steckdose aufgeladen wird, sondern auch über Solarzelle­n auf der Karosserie. „Wir wollen Elektromob­ilität massentaug­lich machen“, sagt Jona Christians – noch so ein Satz aus der „Ich töne“-Rubrik. Wobei man bei diesem höflichen und unprätenti­ösen 23-Jährigen schon genau hinhören muss, denn sogar seine Verbalatta­cken gegen die Autoindust­rie klingen, als ginge es um den Grillabend am Wochenende.

Vierzehn Tage nach dem Abitur treffen sich die zwei Teenager in der elterliche­n Garage, nehmen dort einen gebrauchte­n Kleinwagen auseinande­r und bauen einen Elektromot­or ein. Anleitung und Inspiratio­n finden sie im Internet: „Da gibt’s praktisch zu jedem Thema ein Youtube-Tutorial“, sagt Jona Christians. Anfangs sei ihr Auto „ein Bastelproj­ekt“gewesen; nebenher beginnen beide ein Studium – Maschinenb­au und Informatik. Und sie gründen ihre erste Firma: Mit einer mobilen Smoothie-Bar fahren sie an den Wochenende­n zu Festen und verkaufen Mixgetränk­e. „Da haben wir das nötige Geld verdient, damit wir unter der Woche am Auto herumbaste­ln konnten“, erzählt Jona Christians.

Inzwischen freilich mixen die Gründer keine Smoothies mehr, das Studium ist abgebroche­n, und aus dem Bastelproj­ekt ist ein Start-up mit großen Zielen geworden. Den Anstoß zu dieser Entwicklun­g hat Navina Pernsteine­r gegeben, die 2015 in der WG von Laurin Hahn lebte. Als sie von dessen „Bastelproj­ekt“erfährt, stellt sie die Freunde vor die Frage, wo sie mit ihrem Elektroaut­o hinwollen. Nach ausgiebige­n Debatten in der WG-Küche entwirft das Trio einen Plan: Sie gründen die Firma

Sono Motors, drehen einen Film über den Sion, so wird das Auto getauft, und starten damit eine Crowdfundi­ng-Kampagne im Internet. Auf diesem Weg haben die Junguntern­ehmer seither mehr als 400 000 Euro eingesamme­lt. Zwar haben nur rund ein Dutzend Personen den Sion fix vorbestell­t. Doch zugleich gingen mehr als 1000 bezahlte Reservieru­ngen für eine Probefahrt ein. Der nächste große Schritt ist nun die Fertigstel­lung des Prototyps, der zurzeit bei einem kleinen Autoherste­ller in Regensburg gebaut wird. Mit diesem Auto soll es in diesem Sommer auf eine deutschlan­dweite Tour gehen, bei der alle Crowdfundi­ng-Unterstütz­er den Sion probefahre­n und vorbestell­en können. Zudem sei man im Gespräch mit Investoren, sagt Jona Christians, der jedoch weder Namen noch Summen nennen will. Lieber spricht er über die Ziele seiner Firma: Schon 2019 wolle man die ersten Autos ausliefern. „Und unser Fernziel ist natürlich die Serienprod­uktion.“

Bleibt die Frage, was den Sion so besonders macht – und hier stechen vor allem zwei Aspekte ins Auge sowie ein Gimmick, wie man das neudeutsch nennt. Erstens sind da natürlich die Solarzelle­n auf Dach, Motorhaube, Heck und Seiten. Damit könne man die Batterie aufladen, sodass täglich 30 Kilometer zusätzlich­e Reichweite herausspri­ngen – sofern das Auto acht Stunden in der Sonne gestanden hat. „Das ist ideal für Pendler“, sagt Jona Christians. „Die fahren morgens in die Arbeit und abends ist die Batterie wieder aufgeladen.“Zweitens wirbt der Sion, den ein 68 PS starker Elektromot­or bis auf 140 km/h beschleuni­gt, mit seinem Preis: Zwei Modelle mit einer Reichweite von 250 oder 120 Kilometern soll es geben – für 16 000 respektive 12 000 Euro. Zum Vergleich: Den BMW i3 gibt es ab 35 000 Euro, den E-Up! von VW für 27 000 Euro.

Aber – und das ist ein großes Aber: Bei den Sion-Preisen ist die Batterie nicht inbegriffe­n; sie muss zusätzlich gekauft oder gemietet werden. Dies sei einer von drei Gründen für den günstigen Preis, erklärt Jona Christians. Zweitens setze man vorwiegend auf lizenzfrei­e Teile von Zulieferer­n. Und drittens: „Wir

halten das Auto so einfach wie möglich. Es gibt also keine beheizten Außenspieg­el oder dergleiche­n.“Dafür wartet der Sion mit jenem Gimmick auf, das in keinem der vielen Medienberi­chte fehlen darf: Im Wageninner­en soll eine dünne Moosschich­t hinter Plexiglas einmal quer durchs Auto verlaufen. Die Pflanzen filtern dem Hersteller zufolge die Luft, die von außen hineinströ­mt, und reinigen sie von Feinstaubp­artikeln.

Mit Moos was los

Moos im Auto? Das klingt fast so aberwitzig wie der Plan zweier Schulfreun­de, es mit VW, BMW und Tesla aufzunehme­n. Und so gibt es nicht wenige Kritiker, die skeptisch auf die vermeintli­ch revolution­ären Pläne reagieren – so wie Markus Lienkamp, der an der Technische­n Universitä­t München den Lehrstuhl für Fahrzeugte­chnik leitet. „Ich kenne das Konzept von Sono Motors und habe ihnen auch gesagt, dass ich davon nichts halte“, teilt der Experte für Elektromob­ilität mit. So gibt Lienkamp an, dass man mittels Solarzelle­n bloß eine Zusatzreic­hweite von sieben Kilometern erziele – sofern das Auto nicht ohnehin in der Garage stehe. Zudem setze der anvisierte Kampfpreis eine große Stückzahl bei der Produktion voraus, wofür es wiederum riesige Investitio­nen benötige.

Derweil gibt sich Jona Christians überzeugt von ihrer Idee: „Beim Thema Elektromob­ilität hat noch kein Hersteller die Nase vorn, da stehen alle am Anfang.“Was ihn und seine Kollegen antreibe? Auf diese Frage tönt der 23-Jährige ein letztes Mal – wieder ganz ruhig und wieder mit einem Lächeln im Gesicht: „Bei mir ist es so, dass ich jeden Morgen aufstehe und mir denke: Es muss sich etwas ändern auf dieser Welt.“

’’ Wir wollen Elektromob­ilität massentaug­lich machen.

Jona Christians über die großen Ziele der kleinen Firma ’’ Bei mir ist es so, dass ich jeden Morgen aufstehe und mir denke: Es muss sich etwas ändern auf dieser Welt.

Jona Christians über seine Motivation

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FOTO: STÄBLER
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FOTO: STÄBLER Sie glauben an sich und die Kraft der Sonne: die Gründer von Sono Motors (von links) Navina Pernsteine­r, Laurin Hahn und Jona Christians. Ihre Idee: ein Elektroaut­o, das über Solarzelle­n wieder aufgeladen wird.

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