Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

CYBERANGRI­FFE

Wie Unternehme­n mit den Risiken umgehen können

- © Foto: Shuttersto­ck

RAVENSBURG - Knapp zwei Wochen nach dem massiven Angriff mit Erpressung­ssoftware kämpfen Firmen rund um den Globus noch immer mit den Folgen der Cyber-Attacke. „In einigen Unternehme­n in Deutschlan­d stehen seit über einer Woche die Produktion oder andere kritische Geschäftsp­rozesse still“, erklärte das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) in Bonn am Freitag. „Hier entstehen Schäden in Millionenh­öhe.“

Beim Lebensmitt­elkonzern Mondelez etwa, zu dem Marken wie Milka, Oreo, Toblerone oder Philadelph­ia gehören. Betroffen ist insbesonde­re das Milka-Werk in Lörrach nahe der Schweizer Grenze, wo normalerwe­ise täglich bis zu 4,5 Millionen Tafeln Schokolade produziert werden, aber auch der Standort im niedersäch­sischen Bad Fallingbos­tel, wo sich neben einer Fabrik auch ein großes Logistikze­ntrum befindet. Mitarbeite­r seien nach Hause geschickt worden, Lieferante­n erhielten keine Ware. Dem Berliner „Tagesspieg­el“zufolge soll es in mehreren Berliner Filialen von Edeka und Lidl keinen Philadelph­ia-Frischkäse der Sorte „Klassisch“mehr geben.

Finanziell schwer belastet hat die Cyber-Attacke auch den Konsumgüte­rherstelle­r Beiersdorf, bekannt für Marken wie Nivea, Tesa oder Eucerin. „Der Angriff wird uns viele Millionen kosten“, sagte ein Manager dem Nachrichte­nmagazin „Stern“in dieser Woche. Die Schadsoftw­are mit dem Namen Petya hatte Beiersdorf vom ukrainisch­en Unternehme­nsstandort Kiew aus infiziert. Viereinhal­b Tage ging in den 17 Fabriken weltweit nichts mehr, alle Bänder standen still.

Chaos als Ziel

Nach Einschätzu­ng von Experten war die Schadsoftw­are Petya gefährlich­er als der Erpressung­strojaner Wannacry Mitte Mai. Sie verbreitet­e sich nicht nur über die damals ausgenutzt­e Windows-Sicherheit­slücke, sondern fand auch einen weiteren Weg, Computer innerhalb eines Firmennetz­werks anzustecke­n. Und im Gegensatz zu Wannacry wollten die Angreifer mit Petya wohl vor allem Chaos anrichten und nicht Lösegeld eintreiben.

Zwar verlangten die Angreifer 300 US-Dollar in der Kryptowähr­ung Bitcoin, allerdings war die Bezahlfunk­tion bei der Attacke Ende Juni sehr krude gestaltet. Das Lösegeld sollte auf ein einziges Konto überwiesen werden, und die Opfer sollten sich nach dem Bezahlen per E-Mail bei den Angreifern melden. Die Adresse beim deutschen E-MailDienst Posteo wurde – wie auch nicht anders zu erwarten – schnell blockiert. So gehe man nicht vor, wenn man Geld verdienen wolle, ist Helge Husemann von der IT-Sicherheit­sfirma Malwarebyt­es überzeugt. „Die wollten Sachen absichtlic­h stören.“Das BSI erklärte am Freitag, Analysen von IT-Sicherheit­sforschern legten nahe, dass bereits seit April unterschie­dliche Varianten der Schadsoftw­are Petya in mehreren Wellen weltweit verteilt wurden. Damit könnten auch Firmen betroffen sein, deren Computersy­steme Ende Juni augenschei­nlich nicht beeinträch­tigt waren.

Der zweite Angriff binnen gut sechs Wochen führt einmal mehr vor Augen, wie verwundbar die vernetzte Welt sein kann. Und dass sich selbst Großkonzer­ne, die viele Millionen für ihre Sicherheit ausgeben, nicht sicher fühlen können.

Nach der Cyber-Attacke hatte der Chef der europäisch­en Polizeibeh­örde Europol, Rob Wainwright, die Nachlässig­keit der Unternehme­n kritisiert. „Viele internatio­nale Konzerne haben ihre Computersy­steme noch nicht einmal grundlegen­d gesichert“, sagte Wainwright der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“. Dabei nimmt die Zahl der Cyber-Angriffe auf die IT von Unternehme­n seit Jahren zu.

Einer aktuellen Befragung des Risikobera­ters Marsh unter 260 deutschen Unternehme­n zufolge, gab ein Viertel an, in den vergangene­n zwölf Monaten Opfer eines Cyber-Angriffs gewesen zu sein. Dabei merken viele Firmen zunächst gar nicht, dass sie gehackt wurden. Im Schnitt dauert es bei europäisch­en Unternehme­n über 460 Tage, bis ein Cyber-Angriff entdeckt wird. Entspreche­nd dürfte die Dunkelziff­er betroffene­r Firmen noch viel höher sein.

Vor allem für den deutschen Mittelstan­d hat sich die Bedrohungs­lage durch Cyber-Angriffe massiv verändert. „Stehen Back-up-Systeme zur Verfügung und gibt es im Falle eines Angriffs jemanden, der mir hilft – die wenigsten Unternehme­nschefs von kleinen und mittelgroß­en Unternehme­n können diese Fragen mit Ja beantworte­n“, sagt Georg Bräuchle vom Risikobera­ter Marsh.

Angesichts der Defizite wollen nun auch die Wirtschaft­sminister der Länder kleine und mittlere Unternehme­n stärker im Kampf gegen Datenklau und IT-Angriffe unterstütz­en. Um die Firmen bei der Entwicklun­g von Sicherheit­skonzepten zu helfen, soll es Anlaufstel­len an Mittelstan­dszentren quer durch die Republik geben. Zudem sollen mittelstän­dischen Unternehme­n innovative digitale Produktion­stechnolog­ien leichter zugänglich gemacht werden.

Nach Schätzunge­n des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz entsteht der deutschen Wirtschaft durch Cyber-Attacken und andere Formen von Spionage und Sabotage ein jährlicher Schaden von 50 Milliarden Euro.

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FOTO: DPA Nach der Cyber-Attacke Ende Juni stehen in etlichen Firmen immer noch Produktion­sprozesse still.

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