Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gewalt beim Gipfel bringt Scholz in die Bredouille

Politiker loben Einsatz der Sicherheit­skräfte – Gleichzeit­ig beginnt Debatte um Konsequenz­en aus den Vorfällen

- Von Andreas Herholz und Tobias Schmidt

HAMBURG - „Das schockiert mich, das macht mich fassungslo­s“, sagt Frank-Walter Steinmeier am Morgen danach. Der Bundespräs­ident ist gekommen, um Polizei und Helfern für ihren Einsatz zu danken, und sich selbst ein Bild über die Folgen der Hamburger Chaostage während des G20-Gipfels zu machen. „Ein solches Ausmaß an Gewalt haben wir in den letzten Jahren bei Demonstrat­ionen in Deutschlan­d nicht erlebt“, sagt das Staatsober­haupt erschütter­t von dem Ausmaß der Ausschreit­ungen.

Am Morgen nach dem G20-Gipfel, nach der dritten Krawallnac­ht in Folge liegt noch immer Brandgeruc­h über dem Hamburger Schanzenvi­ertel, dort, wo sich Szenen wie im Bürgerkrie­g abgespielt haben. Kehrmaschi­nen rollen über die Straße „Am Schulterbl­att“, Aufräumarb­eiten nach dem Gewaltexze­ss. Anwohner und Touristen sammeln Pflasterst­eine auf, fegen verkohlten Müll weg.

Steinmeier ist in die Hansestadt gekommen, um Beistand zu leisten. Doch an den Ort des Grauens, dort wo es auch Stunden vorher wieder gebrannt hat, geht der Bundespräs­ident aus Sicherheit­sgründen nicht. Er spricht andernorts mit geschädigt­en Anwohnern des Viertels und besucht einige der fast 500 verletzten Polizisten im Bundeswehr­krankenhau­s. Er lobt den Einsatz der Sicherheit­skräfte, der hohe Anerkennun­g verdiene.

An der Seite von Steinmeier steht Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz, der nach dem schwarzen Wochenende massiv unter Druck steht. Der SPD-Politiker weist Kritik an der Polizei zurück und stellt sich vor die Einsatzkrä­fte. „Die haben alles richtiggem­acht und einen heldenhaft­en Einsatz zustande gebracht“, lobt der SPDPolitik­er, der angeschlag­en wirkt. „Viele sind sehr erschrocke­n, ich bin es auch“, erklärt er.

Sicherheit­sgarantie abgegeben

„Scholz, der Tor zur Welt“, titelt dagegen die Boulevardp­resse und wirft ihm und seinem Team Versagen vor. Schließlic­h hatte er vor dem G20Gipfel eine Sicherheit­sgarantie abgeben und darauf verwiesen, dass man Erfahrung mit Großverans­taltungen wie etwa dem jährlich stattfinde­nden Hafengebur­tstag habe.

War es richtig, den G20-Gipfel mitten in der Metropole Hamburg, noch dazu nahe des linksauton­omen Schanzenvi­ertels auszuricht­en? Darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Schon ist von Staatsvers­agen die Rede. Kanzlerin Angela Merkel verteidigt ihre Entscheidu­ng, die sie gemeinsam mit SPD-Mann Scholz getroffen hatte, das Treffen hier in der Hansestadt abzuhalten. „Hier wurde exzellente Arbeit geleistet“, lobt die Kanzlerin die Polizei für ihren Einsatz und dankt „ausdrückli­ch auch im Namen der anderen Gipfelteil­nehmer“. Sie verurteilt die „entfesselt­e Gewalt auf das Schärfste“und beklagt: „Wer so handelt, dem geht es nicht um politische Kritik oder um ein besseres Leben auf der Erde.“Gemeinsam mit Scholz trifft sie sich am Ende des Gipfel-Treffens mit Polizisten, Sanitätern und anderen Helfern. Merkel verspricht den Opfern der Krawalle rasche Entschädig­ung. „Wir prüfen das ‚wie‘, und nicht ‚ob‘.“

Zugleich begann am Sonntag die Debatte, welche Konsequenz­en aus der Gewalteska­lation in Hamburg gezogen werden müssen. „Die Täter unterschei­den sich überhaupt nicht von Neonazis und deren Brandansch­lägen“, sagte Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) am Sonntag. Deutschlan­ds Bild in der Welt werde so schwer in Mitleidens­chaft gezogen, beklagte er und forderte die Einrichtun­g einer europaweit­en Fahndungst­ruppe im Kampf gegen solche Straftäter. Viele Gewalttäte­r des sogenannte­n Schwarzen Blocks waren aus dem Ausland angereist.

Bei den Tätern handele es sich nicht um bloße Chaoten, sondern vielmehr „um schwerstkr­iminelle Gewalttäte­r und Brandstift­er“, die sich vor Gericht verantwort­en müssten, sagte Justizmini­ster Heiko Maas. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz verurteilt­e die Ausschreit­ungen und sprach von „Mordbrenne­rn“, mit denen man es zu tun habe.

Ruf nach Scholz’ Rücktritt

Schon wird der Ruf nach einem Rücktritt von Hamburgs Erstem Bürgermeis­ter Scholz laut. Habe er doch ganz offensicht­lich das Ausmaß der Bedrohung falsch eingeschät­zt. „Olaf Scholz weiß selber am besten, dass sein Vergleich des G20-Gipfels mit einem Hafengebur­tstag abwegig und politisch ein schwerer Fehler war, aber deshalb muss man nicht gleich seinen Rücktritt fordern“, nimmt CDU-Innenexper­te Wolfgang Bosbach den SPD-Politiker in Schutz. Dennoch müssten jetzt längst überfällig­e Konsequenz­en gezogen werden. So dürften vom rot-grünen Senat in Hamburg keine rechtsfrei­en Räume mehr geduldet werden.

Der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Stephan Mayer (CSU), forderte: „Die neue Dimension enthemmter und entfesselt­er Aggression und Zerstörung­swut auf Seiten linksextre­mistischer und autonomer Chaoten muss Anlass dazu geben, sich intensiver mit dem gewaltbere­iten Linksextre­mismus auseinande­rzusetzen.“Man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnu­ng zurückkehr­en.

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FOTO: DPA Anwohner im Hamburger Schanzenvi­ertel, das von den Ausschreit­ungen während des G20-Gipfels stark betroffen war, zeigen ihren Unmut über Hamburgs Ersten Bürgermeis­ter Olaf Scholz.

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