Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kein Grund zum Feiern in Mossul

- Von Michael Wrase, Limassol/Mossul

it Gesten der Verzweiflu­ng soll die tief verschleie­rte Frau die anrückende­n irakischen Soldaten um Hilfe gerufen haben. Sie könne nicht mehr laufen, hätte sie gebrüllt. Als ein junger Soldat die Frau in Sicherheit bringen wollte, brachte sie ihren Sprengstof­fgürtel zur Explosion, tötete sich selbst, ihren Helfer sowie einige weitere Soldaten. Der Terroransc­hlag wurde am Sonntag von den irakischen Staatsmedi­en aus Mossul gemeldet. Ob er sich so zugetragen hat? Vieles spricht dafür.

Bis Sonntagvor­mittag kontrollie­rte die Terrormili­z „Islamische­r Staat“nur noch einige Wohnblocks am Westufer des Tigris. Eine geordnete Evakuierun­g der Dschihadis­ten, wie im vergangene­n Jahr in Aleppo, hatte die irakische Regierung kategorisc­h abgelehnt. Die verblieben­en ISTerroris­ten wussten, dass sie getötet werden. Ihr proklamier­tes Ziel war es, auch die letzten Stunden der neunmonati­gen Abwehrschl­acht so blutig wie möglich zu gestalten.

Auch wenn die angreifend­en irakischen Soldaten, Polizisten und Milizionär­e den Fall der allerletzt­en ISBastione­n am Westufer des Tigris ausgelasse­n feierten, gibt es nüchtern betrachtet keinen Grund zum Feiern. Darüber dürfte sich auch der irakische Ministerpr­äsident Haydar al-Abadi im Klaren sein, der am Sonntag in Mossul eintraf, um sich als „Sieger“zu feiern. Doch fast die Hälfte von West-Mossul ist zerstört. Ein amerikanis­cher General soll die von Bomben verwüstete Altstadt „mit Dresden“im 2. Weltkrieg verglichen haben. Die Kosten für den Wiederaufb­au werden auf 100 Milliarden Dollar geschätzt.

Denn trotz der Befreiung wird der IS mit Kamikazeat­tacken versuchen, ein geordnetes Leben in Mossul zu verhindern. Auch ohne die Gefahr neuer Angriffe sind die Aufgaben gewaltig: 900 000 der zwei Millionen Einwohner haben Haus und Hof verloren. Wie langsam der Aufbau voran geht, zeigt sich im vor sechs Monaten befreiten Osten der Großstadt, wo die Strom – und Wasservers­orgung nur mühsam wiederherg­estellt wird. In den Schulen wird zwar wieder unterricht­et, auf ihre Gehälter warten die Lehrer bislang vergeblich.

Nicht nur sie stellen inzwischen die Kompetenz der schiitisch-dominierte­n irakischen Regierung infrage. Diese habe im Sommer 2014 Mossul den Dschihadis­ten überlassen und komme nun zurück, um die Stadt zu zerstören, empört sich ein Student der Universtit­ät von Mossul. Tatsächlic­h waren vor drei Jahren fast 50 000 irakische Soldaten aus Mossul geflüchtet, nachdem vielleicht 3000 IS-Kämpfer in Mossul eingerückt waren. Die Angst vor den dschihadis­tischen Mörderband­en war gewaltig, reicht aber als Erklärung für die massenhaft­e Fahnenfluc­ht nicht aus. Kriegsgerä­t im Werte von vier Milliarden Dollar fiel dem IS damals in die Hände.

Der Verlust seiner wichtigste­n Basis in Mossul ist für den IS eine katastroph­ale Niederlage, bedeutet aber noch längst nicht das Ende der Terrororga­nisation. Ohne seinen Staat wird der IS unberechen­bar. Die entwurzelt­en Terroriste­n könnten eine noch grössere Gefahr für die Weltsicher­heit darstellen.

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