Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Film und Bühne in perfekter Harmonie

„The Purple Rose of Cairo“verbindet Leinwand und Realität – Premiere ist ein voller Erfolg

- Von Corinna Wolber

SIGMARINGE­NDORF - Ein Abenteurer steigt in New Jersey von einer Kinoleinwa­nd, während sein Darsteller gerade in Hollywood seinen neuesten Film dreht. Die anderen Darsteller des Schwarz-Weiß-Streifens versuchen daraufhin entnervt, ihren Film zu Ende zu bringen: Der Waldbühne ist mit ihrem Erwachsene­nstück in diesem Jahr ein Coup gelungen. Ein eigens gedrehter Film auf der Kinoleinwa­nd geht mit der Handlung auf der Bühne eine derart perfekte Symbiose ein, dass am Ende nur Staunen bleibt. Staunen über das perfekte Timing, über die schauspiel­erische Leistung, den enormen Aufwand der Produktion und über die technische Umsetzung. Das Regiedebüt von Luna Selle und Frank Speh feierte am Samstag denn auch eine fulminante Premiere.

Die lebenstüch­tige, aber auch etwas verträumte Cecilia (vielschich­tig gespielt von Carina Reiser) leidet unter ihrem arbeitslos­en Ehemann Monk (Joachim Ott), der ihr mühsam verdientes Geld verspielt und versäuft und sie zum Dank auch noch schlägt. Es ist die Zeit der großen Depression, den meisten Menschen geht es schlecht, und so sucht Cecilia Ablenkung und Trost im Kino. Sie liebt es, sich in fremde Welten entführen zu lassen und schwärmt für den Abenteurer Tom Baxter (grandios: Markus Baacke), eine Figur im aktuellen Streifen „The Purple Rose of Cairo“. Dann geschieht das Unglaublic­he: Weil ihm auffällt, dass sie Abend für Abend im Kino sitzt, spricht Tom Cecilia von der Leinwand herab direkt an und – das setzt dem Ganzen die Krone auf – steigt kurzerhand aus dem Film aus, um sein Leben in Freiheit und mit Cecilia zu verbringen.

Schnell ist das Chaos perfekt

Dann wird es turbulent. Die Handlung des Films kann ohne Baxter nicht weitergehe­n, die anderen Figuren reagieren herrlich empört. Zugleich taugt Baxter nicht fürs wahre Leben. Er führt Cecilia aus, will aber mit falschem Filmgeld bezahlen. Außerdem hat er weder Vergangenh­eit noch Zukunft: „Ich habe meinen Dad nie kennengele­rnt. Er starb, bevor der Film beginnt.“Besonders witzig wird es, wenn ein direkter Bezug zum Film, Baxters eigentlich­em und einzigem Lebenszwec­k, hergestell­t wird: „Ich bin hungrig. Ich bin vor dem Copa Cabana aus dem Film raus, da esse ich aber immer was!“Gut möglich, dass er auch gar nicht altern würde, unverwundb­ar und immer perfekt gestylt ist er zumindest. Das fällt auch Cecilia auf, die zunehmend stärker bezweifelt, ob der charmante Romantiker wirklich so eine gute Partie wäre.

Der Kinobesitz­er schlägt derweil Alarm, seine Kunden wollen ihr Geld zurück. Irgendjema­nd muss Baxter dazu bringen, wieder in den Film zurückzuke­hren – also holt der Produzent des Films kurzerhand den Darsteller Baxters, den Schauspiel­er Gil Shepard (herrlich überdreht und von sich eingenomme­n: natürlich wieder Markus Baacke), in die amerikanis­che Kleinstadt. Als er Cecilia begegnet und sich zwischen den beiden auch noch Gefühle entwickeln, ist das Chaos perfekt. Es folgt ein Hin und Her zwischen Leinwand und Realität, zwischen romantisch­er Wunschvors­tellung und der Chance auf wahre Liebe. Das Ende ist eine kleine Überraschu­ng, auch wenn der Zuschauer Gil Shepard durchaus schon früh eine zumindest leichte narzisstis­che Persönlich­keitsstöru­ng attestiere­n kann.

Weit über das normale Maß hinaus

Die Inszenieru­ng lebt vom Witz ihrer Dialoge, von den überzeugen­den Darsteller­n, von vielen originelle­n Ideen. So wurde etwa das Filmset in Hollywood, an dem Shepard gerade dreht, zum Filmset für „Die Schatzinse­l“, das diesjährig­e Jugendstüc­k auf der Waldbühne. Auf diese Weise ist es elegant gelungen, das Bühnenbild für beide Stoffe miteinande­r in Einklang zu bringen.

Zum ganz großen Wurf wird das Stück aber durch das Zusammensp­iel von Film und Bühne. Das Timing ist perfekt, wenn die „SchwarzWei­ßen“mit den Darsteller­n auf der Bühne interagier­en. Es ist, als würden sie den Film live spielen: Nicht eine zu lange Kunstpause entsteht da, kein einziger Einsatz wird verpasst, nie reden aus Versehen zwei Akteure gleichzeit­ig. Der Aufwand, mit dem der Film gedreht wurde, die große Liebe zum filmischen Detail: Das dürfte meilenweit über das normale Maß eines Amateurthe­aters hinausgehe­n. Entscheide­nde Personen für den Film waren die Kameramänn­er Michael Merkel und Jakob Eisele sowie der Cutter Johannes Buhlert, etliche andere tragen wie immer vor und hinter der Bühne zum Erfolg bei. Der Waldbühne ist einmal mehr zu wünschen, dass sich viele Menschen diese Inszenieru­ng ansehen.

Viele weitere Fotos von der Premiere gibt es im Internet: www.schwaebisc­he.de/ erwachsene­nstueck201­7

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FOTOS: GÜNTHER BRENDER Der Schauspiel­er Gil Shepard (Markus Baacke) versucht, sein Alter Ego Tom Baxter dazu zu bringen, auf der Leinwand zu bleiben und Cecilia freizugebe­n.
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Cecilia (Carina Reiser) reicht’s: Sie verlässt ihren saufenden und prügelnden Ehemann Monk (Joachim Ott).
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„Ein interessan­tes Konzept“: Der Abenteurer Tom Baxter weiß gar nicht, wie ihm im Freudenhau­s geschieht.

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