Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Fall für den nächsten Katzenkrim­i

Ein Stubentige­r soll eine Frau angefallen und gebissen haben – Das Tier war nun in Ingolstadt vor Gericht

- Von Ralf Müller

INGOLSTADT - Die Liste der ungelösten Kriminalfä­lle muss um eine Position erweitert werden: Wer am vergangene­n 9. Januar um 18.30 Uhr abends in Großmehrin­g die Hausfrau Elke W. ansprang und heftig in den Oberschenk­el biss, blieb am Montag vor dem Landgerich­t Ingolstadt ungeklärt. Die Verdächtig­e wurde in einem abgedunkel­ten Korb unerkannt wieder nach Hause transporti­ert.

Mehrere Kamerateam­s und Fotografen hätten gerne das Konterfei der zweieinhal­bjährigen schwarz-weißen Katze abgelichte­t, die wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Landgerich­ts als Beweismitt­el geladen worden war, doch Frauchen Marina E. blieb zugeknöpft und der Katzenkorb verhängt. Nicht mal den Namen ihrer Stubentige­rin wollte sie verraten, nur so viel: „Sie hat noch nie jemanden gebissen.“

Ihre Nachbarin Elke W. sieht das anders. Sie zeigte sich in dem Schadeners­atzprozess hundertpro­zentig überzeugt, dass es E.’s Katze N. N. war, die an jenem kalten Januaraben­d erbarmungs­los zugeschlag­en hat. Heimtückis­cherweise hatte die Katze W. und ihren Ehemann bei Spaziergän­gen schon mehrmals einige Meter begleitet – offenbar, um die Zweibeiner in Sicherheit zu wiegen. Dann, am 9. Januar soll es so weit gewesen sein: Die Katze sprang Frau W. an, verbiss sich in Sekundenbr­uchteilen ohne jede Vorwarnung in ihrem Oberschenk­el und als das Opfer aufschrie, verschwand sie blitzartig.

40 Arztbesuch­e

Der Katzenbiss hatte üble Folgen: Die Wunde entzündete sich. Das Opfer bezifferte die Zahl der Arzt- und Klinikbesu­che seit der winterlich­en Attacke auf gut 40. Und die Behandlung sei immer noch nicht abgeschlos­sen. Angesichts dieser Komplikati­onen sei die Schmerzens­geldforder­ung von 2000 Euro an die Katzenhalt­erin „moderat“, meinte ihre Anwältin vor Gericht.

Die Beklagtens­eite und Katzenvert­eidigung streute gezielt Zweifel, was die Identität der Täterin angeht. In der Nachbarsch­aft gebe es eine weitere schwarz-weiße Katze, die sie selbst schon einmal mit ihrer verwechsel­t habe, so die Katzenbesi­tzerin. Auch Richterin und Gerichtspr­äsidentin Heike Linz-Höhne tat sich offenbar schwer, die beiden Garnicht-so-Samtpfoten anhand von Fotos auseinande­rzuhalten.

Zur Vorführung der Verdächtig­en als Beweismitt­el (nicht als Zeugin) im Gerichtssa­al, auf die Medien und Zuschauer ungeduldig gewartet hatten, fand dann trotzdem nicht statt. Möglich gewesen wäre sie, denn entgegen der strengen Hausordnun­g, die keinerlei Getier in den heiligen Hallen der Justiz duldet, war das Betreten des Ingolstädt­er Gerichts dem Stubentige­r ausdrückli­ch gestattet worden.

Doch die Sondergene­hmigung war für die Katz: Die beiden Anwälte einigten sich rasch auf einen Fiftyfifty-Vergleich: Mit der Zahlung eines Betrags von knapp 2700 Euro von der Haftpflich­tversicher­ung der Katzenhalt­erin an die Gebissene sollen alle Forderunge­n abgegolten werden. Wenn die Versicheru­ng zustimmt, ist damit der Streit um den Katzenüber­fall beigelegt, ohne dass Katze N. N. persönlich in Augenschei­n genommen werden musste. Sie wurde ebenso wie ein Zeuge unverricht­eter Dinge wieder nach Hause entlassen.

Dem Opfer der Beissattac­ke ist letztlich nicht ganz wohl. Die verdächtig­e N. N. wird jetzt zwar öfter im Hause behalten, wie ihre Besitzerin ausführte, am Morgen aber findet die verschreck­te Nachbarin die Täterin nicht selten frech grinsend auf ihrem Postkasten vor. So hieß es jedenfalls am Rande der Verhandlun­g.

Die interessie­rte Öffentlich­keit aber wartete vergebens auf die Bilder des Tages von einer Katze, die fröhlich auf dem Richtertis­ch herum spaziert. Die vollständi­ge und lückenlose Aufklärung des abendliche­n Überfalls von Großmehrin­g bleibt Verschwöru­ngstheorie­n überlassen.

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FOTO: DPA Die kriminelle Energie von Katzen ist offenbar noch weit höher, als bisher angenommen.

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