Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kanzleien bündeln ihre Kräfte gegen VW

Anwälte arbeiten nun europaweit gemeinsam an Schadeners­atzklagen – Auch gegen Porsche-Mitarbeite­r wird ermittelt

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Der Druck auf VW steigt weiter. Erstmals schließen sich nun europaweit Anwälte zusammen. Sie wollen vom Konzern bisher verweigert­e Schadeners­atzansprüc­he durchsetze­n. Auch durch Ermittlung­sbehörden droht weiteres Ungemach. Der kürzlich verhaftete Audi-Abgasspezi­alist will vor der Staatsanwa­ltschaft aussagen. Nun gab die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft bekannt, dass sie wegen Betrug und strafbarer Werbung auch gegen unbekannte Porsche-Mitarbeite­r ermittelt.

Der frühere Bundesinne­nminister Gerhart Baum lässt am Umgang der aktuellen Bundesregi­erung mit dem VW-Skandal kein gutes Haar. „Die Politik hat versagt, aus Rücksicht auf die Automobili­ndustrie und deren Zulieferer­n“, kritisiert der Anwalt, dessen Kanzlei rund 2000 VW-Kunden vertritt. Insbesonde­re Justizmini­ster Heiko Maas verärgert Baum. In dessen Haus liegt ein Gesetzentw­urf zur Musterfest­stellungsk­lage, der nicht mehr ins Parlament eingebrach­t wird. Dieses Klagerecht hätte dafür sorgen können, dass auch geschädigt­e deutsche VW-Kunden leicht ihr Recht durchsetze­n könnten. Eine einzige Gerichtsen­tscheidung genügt dafür. So müsste jeder der rund 2,8 Millionen Besitzer eines Fahrzeugs mit manipulier­ter Abgasreini­gung einzeln vor Gericht ziehen.

Verjährung droht

Freiwillig lenkt das Unternehme­n nicht ein. „Volkswagen hat seine Strategie nicht verändert und spielt auf Zeit“, sagt Baum. Ende dieses Jahres läuft die Verjährung­sfrist für Forderunge­n gegen die Händler aus, Ende nächsten Jahres die Frist für Klagen gegen den Hersteller. Deshalb macht Baums Kanzlei nun gemeinsam mit anderen Anwälten aus ganz Europa Dampf. Gemeinsam wollen sie VW dazu bringen, neben den amerikanis­chen Kunden auch die Käufer in der EU zu entschädig­en. Baums Düsseldorf­er Kanzlei hat sich mit den Berliner Rechtsanwä­lten Gansel, der österreich­ischen Plattform für Massenschä­den, Cobin Claims sowie der niederländ­ischen Stiftung „Stichting Volkswagen Car Claim“zusammenge­tan.

Die Rechtslage in den europäisch­en Ländern ist sehr unterschie­dlich. So beträgt die Verjährung­sfrist in Spanien 15 Jahre, in Deutschlan­d nur drei. Große Hoffnungen setzen die Anwälte auf die Niederland­e, wo sie im September eine Feststellu­ngsklage für rund 180 000 Betroffene einreichen wollen. Sie richtet sich gegen VW, Händler, Importeure und den Zulieferer Bosch. „Es geht jetzt darum, Ansprüche zu sichern“, sagt Eric Breitenede­r von der Stiftung Car Claim. Das Besondere: In Holland können betroffene Kunden aus anderen Ländern Ansprüche geltend machen. Rund 20 000 aus Deutschlan­d haben sich bereits bei der Stiftung gemeldet. Auf über vier Milliarden Euro taxieren die Anwälte ihre Gesamtford­erung.

Darüber hinaus will sich das Juristenne­tzwerk über die Landesgren­zen hinweg über neue Urteile oder Entwicklun­gen informiere­n oder Sachverstä­ndigenguta­chten austausche­n. Auch eine neue Plattform für geschädigt­e Verbrauche­r wurde freigescha­ltet. Auf der Webseite wurde eigens ein Zugang für Tippgeber aus dem Konzern eingericht­et. Die sogenannte­n Whistleblo­wer können hier anonym zum Beispiel vertraulic­he Unterlagen zum Abgasskand­al hochladen oder ein vertraulic­hes Gespräch mit Baum suchen. „Die Sache spitzt sich zu“, sagt der Jurist. Denn auch die strafrecht­lichen Entwicklun­gen beobachten die Rechtsanwä­lte genau. Die Verurteilu­ng von Konzernbes­chäftigten könne die Durchsetzu­ng von zivilen Forderunge­n erleichter­n, hoffen die Anwälte. Der in der vergangene­n Woche festgenomm­en frühere Audi-Ingenieur will mit den Behörden zusammenar­beiten und hat eine Aussage angekündig­t. Bis zu seiner Beurlaubun­g 2015 war er einer der führenden Motorenent­wickler bei der Volkswagen-Tochter. Angeblich ist der Spezialist stark in die Abgasaffär­e verwickelt. Auch in diesem Fall geht es um Betrug und unlautere Werbung. Mittlerwei­le sind bundesweit 40 Beschuldig­te ins Visier der Ermittler geraten.

Seit dem Wochenende stellt sich zudem wieder die Frage, ob der damalige Vorstandsv­orsitzende Martin Winterkorn frühzeitig von den technische­n Manipulati­onen wusste. Dies legen Medienberi­chte über die Aussagen eines Kronzeugen des Skandals in den USA nahe. Winterkorn droht derzeit aber kein Haftbefehl. „Es hat sich für uns im Laufe der bisherigen Ermittlung­en kein Haftgrund ergeben“, sagte ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig.

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