Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Jeder muss bei sich selbst anfangen“
Sänger Michael Patrick Kelly erzählt, warum er wieder zur Musik zurückgekehrt ist
RAVENSBURG - Mit seinen Geschwistern feierte Michael Patrick Kelly in den 1990er-Jahren große Erfolge. Von der Ära der Kelly Family hat er sich inzwischen freigeschwommen und tritt solo auf. Mit seinem neuen Album „ID“im Gepäck kommt er am 15. Juli nach Tuttlingen. Mit Lea Hüttenhofer spricht er über die Fernsehsendung „Sing meinen Song“.
Nach einer langen Zeit im Kloster stehst du wieder mit beiden Beinen im Musikgeschäft: Wie kam es zur Entscheidung, zur Musik zurückzukehren?
Ich hatte in den letzten zwei Jahren im Kloster immer wieder gesundheitliche Schwierigkeiten. Mir wurde empfohlen, wieder ins weltliche Leben zurückzukehren und Musik zu machen. Für diese Hinweise bin ich im Nachhinein dankbar. Denn wenn mein Kopf etwas nicht verstehen will, sagt es mir mein Körper.
Gibt es Aspekte aus deiner Zeit als Mönch, die dir fehlen?
Die Stille! Im Showbusiness ist man natürlich eher exponiert und extrovertiert, deshalb muss ich mir in meinen Kalender immer Zeiten blocken, in denen ich mich in die Natur oder in ein Kloster zurückziehe. Wenn man auf Tour ist, muss man sich diese Momente erkämpfen.
Hast du die Entscheidung, solo weiterzumachen, bewusst getroffen?
Ja. Man könnte mein Leben, wenn man wollte, in drei Phasen aufteilen. Die erste Phase ist die Zeit mit meinen Eltern und Geschwistern. Die Musik, das Herumreisen. Die zweite Phase sind die sechs Jahre im Kloster. Und nun bin ich als Solokünstler unterwegs und das ist die dritte Phase. Vielleicht kommt irgendwann noch eine vierte, aber das weiß ich noch nicht.
Dein neues Album „ID“ist vor Kurzem erschienen. In welche Sparte würdest du es einordnen?
Ich bin kein Fan solcher Kategorien. Insofern ist mein Album eine Mischung aus Folk, Pop und Rock. (Lacht) Ich habe unter anderem durch „Sing meinen Song“gelernt, dass man nicht immer in Genre-Abgrenzungen denken muss. Gerade als Solokünstler habe ich die Freiheit, mit verschiedenen Genres zu flirten. Eine Band ist ja manchmal auch an ihren Sound gebunden.
Was reizt dich an „Sing meinen Song“?
Das Format zwingt Künstler aus der Komfortzone herauszukommen. Man muss sich mit anderen Künstlern, Künstlerinnen und Genres auseinandersetzen und versuchen, sich die Lieder zu eigen zu machen. Als Stefanie Kloß „An Angel“gesungen hat – einen Song, den ich mit 15 Jahren geschrieben habe – war das für mich sehr bewegend. Gentleman und ich stammen aus zwei sehr un- terschiedlichen Welten und nun ist ein gemeinsamer Song entstanden. Auch Moses Pelham und ich werden einen Song zusammen machen. Für mich ist das eine Form des Umgangs, der der Gesellschaft und der Politik von heute guttun würde. Sich auf andere und anders einzulassen. Davon handelt auch mein Song „ID“– die Wertschätzung von Unterschieden. Dass sie nicht als eine Gefahr, sondern als Bereicherung zu sehen sind.
Was hat denn deine Identität geprägt?
Ich glaube, es gibt drei Dinge, die jede Identität prägen. Zum einen, was man von den Eltern bekommt, Gene, Aussehen, vielleicht auch gewisse Charakterzüge. Das Zweite ist, in welcher Kultur oder mit welcher Mentalität man aufwächst. Das dritte sind die Entscheidungen, die der Mensch in seinem Leben trifft. Ich bin ja ein Weltenbummler. Von daher war die Frage, nach dem „Wer bin ich“schon immer ein roter Faden in meinem Leben. Ich denke viele Künstler fragen sich bewusst oder unbewusst, wer sie sind. David Bowie hat sogar ganze fiktive Figuren erfunden – Ziggy Stardust, The Thin White Duke.
Fühlst du dich manchmal von Erwartungen unter Druck gesetzt?
Eher von Erwartungen, die ich mir selber stelle. Ziele, die man sich selbst steckt, erfordern auch Arbeit. Ich habe als Solokünstler eine Freiheit, die ich früher nicht hatte. Da musste ich ständig Kompromisse machen. Jetzt kann ich kompromisslos mein Ding durchziehen.
Du hast „ID“in London aufgenommen. Wie haben dich Entwicklungen wie der Brexit oder die Terroranschläge beeinflusst?
Es gibt auf dem Album keine Songs, die direkt diese Themen ansprechen. Es gibt einen Song, „Land of Bliss“, der einerseits die Gier und die Liebe gegenüberstellt. Es geht um die Frage, wofür wir uns entscheiden. Wenn man in der Oxfam-Studie liest, dass 62 Menschen die Hälfte des Weltvermögens kontrollieren – wahrscheinlich könnten zentrale Probleme der Menschheit wie der Welthunger komplett gelöst werden. Was hält uns davon ab? Es ist die Gier, dieses Besitzerische.
Glaubst du, du kannst als Künstler da positiven Einfluss nehmen?
Jeder muss bei sich selbst anfangen. Ein "Folk-Musician" im alten Sinne des Wortes ist jemand, der ein Sprachrohr für Menschen ist. Für mich ist Bob Marley ein großes Vorbild. Als in Jamaica die Wahlen waren und ein Bürgerkrieg drohte, hat er ein Friedenskonzert gegeben. Er hat die beiden Oppositionsführer auf die Bühne geholt, die Hände in die Luft gehalten und dreimal ins Mikro „Love“gerufen.
Was erhoffst du dir von der Zukunft?
Ich habe natürlich Wünsche und Ziele. Ich reflektiere auch viel über die Vergangenheit, weil man immer Lehren daraus ziehen kann. Trotzdem versuche ich im Jetzt zu leben. Ich habe keine Garantie, dass ich morgen noch da bin. Momentan wünsche ich mir, dass es so weiterläuft: privat, im Glauben und in der Musik.