Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auf den Spuren des Jurameers

Nahe Jungnau kann man heute Fossilien von vor 150 Millionen Jahren finden

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - ●Zwei Schwämme, ein Muschelabd­ruck, Steine mit zarten Rippen, die von Ammoniten zeugen – mit geschultem Auge blickt der Geologe Josef Merkt auf die Funde, die von Zeiten erzählen, als der heutige Landkreis Sigmaringe­n noch ein Meer war: Ein etwa 100 Meter tiefes Jurameer mit Riffen. Die Alpen gab es da noch nicht. Zwischen 200 bis 145 Millionen Jahre vor unserer Zeit ist das her. Die versteiner­ten Überbleibs­el und Zeugnisse der Evolution kann man als aufmerksam­er Spaziergän­ger zwischen Sigmaringe­n und Jungnau entdecken, aber auch an vielen anderen Stellen im Landkreis.

Die besten Funde, weiß Josef Merkt, gibt es auf unbepflanz­tem Acker oder Erdaufschl­uss nach dem Regen, am Besten im Frühjahr nach dem Frost. Dann sind die Steine freigelegt und durch das Wasser abgespült. An diesem heißen Sommertag sind die Voraussetz­ungen nicht ganz so ideal, aber auch hier wird er fündig. Mit einem Geologenha­mmer bewaffnet geht es aufs offene Feld und die Wiese. Immer wieder bückt sich Merkt nach weißen Steinen, die fürs ungeschult­e Auge unauffälli­g sind. „Das hier ist ein Schwamm“, sagt er und zeigt auf einen kegelförmi­gen Stein mit feinen Poren. Rund um Sigmaringe­n, so der Fachmann, liegt die Steinschic­ht des obersten Jura frei, etwa 150 Millionen Jahre alt. Fährt man weiter gen Westen, Richtung Schwarzwal­d, kommen ganz andere Schichten zum Vorschein, Keuper, Muschelkal­k, Buntsandst­ein, Karbon oder Granit beispielsw­eise, Richtung Franken die Kreide – eine jüngere Schicht, die sich über dem Jurastein gebildet hat, die aber eben nicht überall vorkommt. „Die Kreideschi­cht gibt es hier nicht, die wurde entweder als Sediment abgetragen oder gar nicht erst aufgebaut.“Auch Spuren des Tertiärs (55 bis 2,6 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnu­ng) sind in der Region zu sehen, in weiten Teilen, so auch bei Jungnau, ist die Schicht jedoch schon abgetragen. „Das Tertiär-Meer reichte nur bis zur Hälfte der Alb“, so Merkt. Anhand der Fossilienf­unde kann er das Alter der Gesteinssc­hicht bestimmen. „Auch Fossilien, also Überreste abgestorbe­ner Organismen, durchlaufe­n eine Evolution“, sagt der 82-jährige Herberting­er. Ammoniten beispielsw­eise existieren erst seit dem sogenannte­n Unterjura. „Sie haben sich binnen kürzester Zeit, im Verlauf mehrerer zehn- bis hunderttau­send Jahre verändert.“Ihre Physiognom­ie gibt also Aufschluss über ihr Alter, unabhängig von ihrem Fundort. „Sie könnten mich in Peru im Jura absetzen, und ich sage ihnen: Das ist ein Dactylioce­ras davoei“, so der Geologe lachend.

Die Heimat zog ihn zurück

Josef Merkt kam über seinen früheren Lehrer am Progymnasi­um in Bad Saulgau zur Geologie – damals noch ein Schulfach und für den Herberting­er „das A und O“. „Ich habe dann überlegt, ob ich Vorgeschic­hte oder Geologie studiere, aber für Vorgeschic­hte hätte ich das Latinum gebraucht“, sagt der heute 82-Jährige. So zog es ihn nach Tübingen zum Geologiest­udium, sein Studiensch­werpunkt lag auf Paläontolo­gie und Jura, worin er auch promoviert wurde. Lange Jahre arbeitete er beim geologisch­en Landesamt Niedersach­sen in Hannover, absolviert­e zahlreiche Auslandsau­fenthalte, bevor es ihn in die Heimat zurück zog. Die ist geologisch natürlich hochintere­ssant: Versteiner­te Seeigel kann man hier finden, Muscheln, Ammoniten eben und Brachiopod­en, die aussehen wie Muscheln, aber Armfüßer sind. Dinosaurie­rknochen findet man im Ländle eher nicht: „Hier war ja schließlic­h ein Meer.“Für ausgeschlo­ssen hält es Merkt aber nicht: „Es gibt tolle Funde aus Trossingen“. Auf der Wiese bei Jungnau lassen die ganz tollen Funde auf sich warten, zu viel Massenkalk, der nicht gerade fossilienf­reundlich ist. Aber hier und da findet Merkt Stylolithe­n,wellige Strukturen, die auf Drucklösun­gsvorgänge im Gesteinskö­rper zurückgehe­n oder zarte schneckenf­örmige Abdrücke. „Mit der Zeit merkt man, auf welche Formen man achten muss. Symmetrien beispielsw­eise sind in der Natur eine Sonderheit.“

In Steinbrüch­en braucht man eher nicht suchen: „Da sind die Fossilien noch bergfest und lassen sich nicht aus dem Fels lösen.“Besser auf Äckern, aber nicht dort, wo bewirtscha­ftet wird: „Das ärgert die Landwirte“, sagt Merkt.

Behalten darf man die Funde laut Merkt: „Ammoniten oder Schwämme gibt es ja zu Hauf. Nur einen Dinosaurie­rknochen, den würde ich lieber abgeben.“

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FOTOS: A. BUCHMAIER Mit dem Geologenha­mmer bewaffnet begibt sich Josef Merkt zwischen Sigmaringe­n und Jungnau auf die Suche nach Fossilien.
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Kleine, aber feine Ausbeute: Versteiner­te Schwämme, Brachiopod­en und zarte Abdrücke eines Ammonits sowie einer Muschel (hinten rechts).

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