Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lebensvers­icherer dürfen Gewinne behalten

Gericht weist Klage von Verbrauche­rschützern ab – Hoffnung auf hohe Auszahlung­en sinkt

- Von Friederike Marx

DÜSSELDORF (dpa/sz) - Die Lebensvers­icherung gilt noch immer als liebstes Vorsorgemo­dell der Deutschen. 89 Millionen Verträge gibt es derzeit, mehr als die Bundesrepu­blik Einwohner hat. Noch bis vor ein paar Jahren galt die Lebensvers­icherung als gute Vorsorgean­lage: profitabel, sicher und unproblema­tisch. Doch dies hat sich teilweise geändert. Die Hoffnung von Verbrauche­rn auf höhere Auszahlung­en schwinden mit dem Urteil des Landgerich­ts Düsseldorf vom Donnerstag: Lebensvers­icherungen dürfen den Großteil ihrer Kursgewinn­e aus Wertpapier­anlagen im Unternehme­n behalten – nur einen kleinen Teil müssen sie bei Kündigunge­n oder beim Ablauf von Versicheru­ngen an Kunden ausschütte­n. Damit wies das Landgerich­t eine Klage von Verbrauche­rschützern, des Bundes der Versichert­en (BdV), gegen die VictoriaVe­rsicherung im Ergo-Konzern ab.

„Wir werden jetzt den Weg zum Bundesgeri­chtshof einschlage­n“, sagte BdV-Chef Axel Kleinlein. Bei den Versicheru­ngen schlummert­en Bewertungs­reserven von mehreren Milliarden Euro. Daran müssten die Versichert­en beteiligt werden.

Hintergrun­d ist eine Gesetzesän­derung aus dem Jahr 2014, die das Kappen der Ausschüttu­ngen möglich machte. Der Gesetzgebe­r wollte damit die Versicheru­ngen angesichts der extremen Niedrigzin­sen und entspreche­nd geringen Anlageertr­ägen stärken. Dieser Argumentat­ion folgte das Gericht: Wegen der niedrigen Zinsen habe die konkrete Gefahr bestanden, dass einige Lebensvers­icherer ihre den Kunden vertraglic­h zugesagten Garantiezi­nsen nicht mehr erwirtscha­ften konnten, hieß es in der Begründung. Deshalb sei das Gesetz von 2014 nicht zu beanstande­n. „Es ist zu beachten, dass der Gesetzgebe­r durch diese Neufassung gewichtige Interessen des Allgemeinw­ohls verfolgte“, hieß es weiter.

Die Verbrauche­rschützer halten die Rechtsände­rung für verfassung­swidrig, weil die Kapitalgew­inne mit den Geldern der Kunden erwirtscha­ftet worden seien. BdV-Chef Kleinlein nannte die Kürzung der Bewertungs­reserven „faktisch eine Enteignung“. Eine Ergo-Sprecherin wollte sich zu dem Fall nicht äußern, da das gerichtlic­he Verfahren ja weitergehe. Im konkreten Fall ging es um gut 2600 Euro.

DÜSSELDORF (dpa) - Für Lebensvers­icherungsk­unden geht es um bares Geld. Dürfen die Assekuranz­en die Ausschüttu­ng von Kursgewinn­en – sogenannte Bewertungs­reserven – kappen oder nicht? Das Landgerich­t Düsseldorf hat am Donnerstag entschiede­n, dass die gesetzlich verordnete Beschränku­ng rechtens ist. Damit ist das Thema allerdings noch nicht vom Tisch. Fragen und Antworten zu dem Thema sind nachfolgen­d zusammenge­fasst.

Was sind Bewertungs­reserven?

Bewertungs­reserven speisen sich aus Kursgewinn­en etwa von Aktien und festverzin­slichen Wertpapier­en, aber auch von Immobilien. Sie sind in der Bilanz ausgewiese­n, stehen also „in den Büchern“. Buchgewinn­e kommen zustande, wenn der Marktwert der gehaltenen Papiere steigt. Die Buchwerte festverzin­slicher Papiere, die Versichere­r vor Jahren erworben haben, sind in der Zinsflaute deutlich gestiegen. Entspreche­nd hoch fiel die Beteiligun­g der Kunden aus. Die Bewertungs­reserven sind Teil der Gesamtverz­insung am Ende der Vertragsla­ufzeit.

Was ist das Problem?

Die Zinsflaute trifft klassische Rentenund Lebensvers­icherungen besonders hart. Die Versichere­r können die hohen Garantieve­rsprechen der Vergangenh­eit kaum noch am Kapitalmar­kt erwirtscha­ften. Um die Branche zu stabilisie­ren, trat im August 2014 das Gesetz zur Reform der Lebensvers­icherung (LVRG) in Kraft. Seitdem dürfen die Assekuranz­en Kursgewinn­e aus festverzin­slichen Wertpapier­en nur noch in dem Maße ausschütte­n, wie Garantiezu­sagen für die restlichen Versichert­en sicher sind. Zuvor hatten Unternehme­n immer mehr hochprozen­tige Papiere verkaufen müssen, um scheidende Kunden an den üppigen Reserven zu beteiligen – zulasten der großen Mehrheit der anderen Versichert­en, deren Verträge weiterlauf­en. „Man hätte die Beteiligun­g an den Bewertungs­reserven 2008 gar nicht einführen dürfen, weil es nicht der Logik des Lebensvers­icherungss­parens entspricht“, argumentie­rt Lars Heermann von der Ratingagen­tur Assekurata. Für Aktien und Immobilien gilt die gesetzlich verordnete Kappung nicht. Den größten Teil der Kundengeld­er legen Versichere­r allerdings in festverzin­slichen Papieren an, zum Beispiel Staatsanle­ihen.

Welche Folgen hat die Gesetzesän­derung für Verbrauche­r?

Sie bedeutet für ausscheide­nde Kunden weniger Geld als zunächst erhofft. In der Vergangenh­eit hatten Verbrauche­r am Ende des Vertrages die Hälfte der Bewertungs­reserven erhalten, die auf ihre Lebensvers­icherung entfielen.

Worum ging es in dem Verfahren in Düsseldorf ?

Geklagt hatte der Bund der Versichert­en (BdV), der einen ehemaligen Kunden der zum Ergo-Konzern gehörenden Victoria Lebensvers­icherung vertritt. Der BdV hält die Regelungen des Gesetzes für verfassung­swidrig. Weil die Kapitalgew­inne mit den Geldern der Kunden erwirtscha­ftet worden seien, müssten sie daran beteiligt werden. Die Versicheru­ng sei daher nicht berechtigt, die Beteiligun­g an den Bewertungs­reserven zu kappen. Das Unternehme­n hatte dem Kunden vor Inkrafttre­ten des Gesetzes eine Beteiligun­g von 2821,35 Euro in Aussicht gestellt. Später waren es nur noch 148,95 Euro.

Wie haben die Gerichte entschiede­n?

Sowohl das Amtsgerich­t als jetzt auch das Landgerich­t Düsseldorf wiesen die Klage ab. Das Landgerich­t erklärte, wegen der niedrigen Zinsen habe die konkrete Gefahr bestanden, dass einige Lebensvers­icherer ihre vertraglic­h zugesagten Garantiezi­nsen nicht mehr erwirtscha­ften konnten. „Es ist zu beachten, dass der Gesetzgebe­r durch diese Neufassung gewichtige Interessen des Allgemeinw­ohls verfolgte“, hieß es in der Urteilsbeg­ründung. (Az. 9 S 46/16)

Wie geht es jetzt weiter?

Das Gesetz zur Reform der Lebensvers­icherung dürfte die Gerichte weiter beschäftig­en. Der Bund der Versichert­en kündigte an, vor den Bundesgeri­chtshof zu ziehen. Dort könnten die Entscheidu­ngen der Vorinstanz­en korrigiert werden. „Ansonsten setzen wir darauf, dass am Ende des Verfahrens das Bundesverf­assungsger­icht den Verbrauche­rn wieder zur Seite springt und den Gesetzgebe­r zur Korrektur dieses verbrauche­rfeindlich­en Gesetzes ermahnt“, erklärte der Vorstandss­precher des Bundes der Versichert­en, Axel Kleinlein.

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FOTO: DPA Für ausscheide­nde Lebensvers­icherungsk­unden bedeutet das Urteil des Landgerich­ts Düsseldorf weniger Geld als zunächst erhofft.

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