Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Traumkulisse nicht nur für Könige und Prinzen
Viele Legenden spielen im Norden von Wales, der vom Snowdonia Nationalpark geprägt wird
Schafe. Überall Schafe. Kleine weiße Kleckse auf grünen Hügeln, die die Straßen säumen. Wer Einschlafprobleme hat, müsste diese in Wales eigentlich in den Griff bekommen. Doch Schäfchenzählen und Autofahren schließen sich aus – und zudem ist die Landschaft so spektakulär, dass an ein Wegdösen wahrlich nicht zu denken ist. 2017 hat das kleinste Land Großbritanniens das „Jahr der Legenden“ausgerufen – und dürfte vor allem vom derzeitigen Outdoor-Boom profitieren.
Beliebter Drehort
Vielleicht hätte Guy Ritchie nicht ausgerechnet eine Legende verfilmen sollen, die so durchgekaut ist wie die von König Arthur. Der Starbesetzung zum Trotz: Das neueste Kinowerk des britischen Regisseurs floppte und spielte noch nicht einmal die Produktionskosten in Höhe von 175 Millionen Dollar ein. An den Drehorten kann das allerdings nicht gelegen haben – denn der walisische Snowdonia Nationalpark ist wie gemacht für atemberaubende Panoramen, die ihre volle Opulenz auf einer Kinoleinwand entfalten. Filmemacher Ritchie, einst mit Madonna verheiratet, war dann auch nicht der Erste, der das erkannt hat: Als Sean Connery 1995 in „Der erste Ritter“König Arthur verkörperte, lag sein Schloss Camelot im Snowdonia Nationalpark. Connery hatte den Drehort schon früher zu Gesicht bekommen, nämlich im James-Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“(1963). Und Roman Polanksi drehte seine „Macbeth“-Verfilmung nicht etwa in schottischen Gefilden, wo das Shakespeare-Drama eigentlich spielt, sondern im Snowdonia-Gebiet. Von „Robin Hood“bis „Kampf der Titanen“– die Reihe der Filmschaffenden, die die raue Schönheit von Wales zu schätzen wussten, ist lang.
Und die Waliser wissen Legenden zu schätzen. So begegnet einem auch die Arthursage immer wieder. Viele Orte in Wales nehmen für sich in Anspruch, in den Abenteuern des legendären Herrschers eine Rolle zu spielen. Sein Schwert Excalibur beispielsweise soll angeblich in einem See in Snowdonia liegen – geborgen hat es allerdings noch niemand.
Der Snowdonia Nationalpark war 1951 der erste von drei Nationalparks in Wales. Das Gebiet umfasst eine Fläche von 2170 Quadratkilometern. Mit 1085 Metern Höhe ist der Mount Snowdon der höchste Berg in Wales und England. Hier trainierten Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay, bevor sie als erste Menschen den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, bezwangen. Im Pub des PenY-Gwyrd-Hotels am Fuß des Berges wird die Geschichte der berühmten Gäste lebendig, Bilder und Autogramme erzählen davon. Wer den Aufstieg zum Gipfel scheut, kann die Schmalspurbahn nehmen.
Für Aktiv-Urlauber ist der Nationalpark ein Traum: Durch zerklüftete Berglandschaften und karge Geröllfelder schlängeln sich Wanderwege, die fast 1500 Kilometer abdecken. Für ausgedehnte Touren sollte man entsprechend ausgerüstet sein: Im ohnehin regenreichen Vereinigten Königreich gehört Snowdonia zu den niederschlagsreichsten Orten.
Rund um den Nationalpark finden sich einige der monumentalsten Burgen in Wales. Der englische König Edward I. ließ den „eisernen Ring“im 13. Jahrhundert errichten, um die Waliser unter Kontrolle zu halten. Zuvor hatte er den letzten walisischen Prinz, Llywelyn ap Gruffydd, besiegt und hierher vertrieben. Die Unesco hat viele der Anlagen als Weltkulturerbe anerkannt, so etwa Caernarfon Castle. Hier wurde 1284 Edward II. geboren, der später zum „Prince of Wales“ernannt wurde. Seither findet hier die Krönung der „Prinzen von Wales“statt, so etwa die von Prinz Charles im Jahr 1969.
Unaussprechliche Namen
Die Geschichte von Wales und England ist eine Geschichte der Aufstände und Machtkämpfe, der Eroberungen und Rückschläge – und wenn man vor den eindrucksvollen Castles steht, kommt vielen in Anbetracht der historischen Irrungen und Wirrungen der Serien-Erfolg „Game of Thrones“mit seinem Kampf um den Eisernen Thron in den Sinn. Mit über 600 Burgen und Schlössern gibt es in Wales mehr solcher imposanten Bauwerke als anderswo in Europa. Caernarfon bietet dabei einen fantastischen Blick aufs Meer – und auf den Türmen flattert, wie fast überall in Wales, die Nationalflagge mit dem roten Drachen. Die Waliser haben sich eine gute Portion Nationalstolz bewahrt, was man auch an der allgegenwärtigen Landessprache erkennt, die immerhin von fast einer Million Menschen gesprochen wird. Für den Touristen sind die Ortsnamen mitunter unaussprechlich – und das gilt nicht nur für eine Gemeinde auf der Insel Anglesey namens Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Relativ unfallfrei lässt sich da wohl gerade noch Aberystwyth aussprechen, ein beschauliches Seebad an der Cardigan Bay mit rund 13 000 Einwohnern. Vom dortigen Constitution Hill hat man einen grandiosen Ausblick über die Cardigan Bay, und wer sich den Fußweg sparen will, kann mit der Standseilbahn auf den Hügel hinauf.
Von Aberystwyth aus kommt man mit der „Vale of Rheidol“-Dampflok zu einem äußerst sehenswerten Reiseziel: der Devil’s Bridge und dem dazugehörigen Naturpfad. Drei Brücken sind hier übereinander gebaut worden, die beiden unteren aus Stein, die obere aus Eisen. Über eine extrem steile Steintreppe, die „Jakobsleiter“, geht es von der unteren Brücke zum Fluss Mynach, der hier einen Wasserfall bildet und fast 100 Meter tief in eine Klamm hinabstürzt. Ein eindrucksvolles Erlebnis, für das man robustes Schuhwerk und ein wenig Kondition braucht.
Etwas einfacher ist der Elan Valley Trail, der von Wanderern und Radfahrern, Reitern und Rollstuhlfahrern gleichermaßen genutzt werden kann. Das Tal westlich des 2000Einwohner-Städtchens Rhayader bietet 180 Kilometer Wanderwege. Der eindrucksvolle Caban Coch Staudamm lässt sich dort bestaunen. Seit über 100 Jahren versorgt der Stausee die englische Industriestadt Birmingham mit sauberem Wasser. Eine halbe Million Touristen besuchen Elan Valley jährlich, ob zum Angeln, Wandern ober um die zahlreichen Vögel zu beobachten, die dort vorkommen.
Und auch im Elan Valley: Schafe. Man meint, mehr Schafe zu sehen als Menschen. Der Eindruck täuscht nicht: Neun Millionen der Tiere gibt es in Wales – dreimal so viele wie das Land Einwohner hat.