Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Großfamili­e auf unbestimmt­e Zeit

Sandra und Mike Mutschelle­r haben zwei Pflegekind­er und eine leibliche Tochter

- Von Anna-Lena Buchmaier

ROHRDORF - Sandra und Mike Mutschelle­r aus Rohrdorf haben drei Kinder – eines davon ist ihr leibliches. Ihre neunjährig­e Tochter ist vor zwei Jahren quasi über Nacht zur großen Schwester eines fast gleichaltr­igen Jungen geworden, vor fünf Wochen kam ein dreijährig­er Junge dazu. „Ich hatte schon immer den Wunsch, ein Pflegekind aufzunehme­n“, sagt Sandra Mutschelle­r. Die 37-Jährige ist Pflegemutt­er mit Leib und Seele, auch, wenn die Aufgabe sie und ihren Mann manchmal an ihre Grenzen bringt.

So war der Start in die Pflegeelte­rnschaft alles andere als leicht: „Anfangs hatte ich an ein Baby gedacht. Und dann war da dieser siebenjähr­ige Junge.“Dennoch: Beim ersten Kennenlern­en hat es zwischen dem Kind und der Familie gefunkt. „Das sah man an den Augen des Kindes und der Familie“, sagt Tobias Conzelmann vom Pflegekind­erdienst des Jugendamte­s, der die Familie begleitet. Dann ging alles ganz schnell. Sandra Mutschelle­r hat nicht gewusst, was sie erwarten würde. „Mit einer Schwangers­chaft kann man sich ganz anders vorbereite­n“, bestätigt Mike Mutschelle­r. Das Paar bekam ein „fertiges Kind“mit einer Vorgeschic­hte. Die ersten Wochen mit dem zurückhalt­enden, emotional unterentwi­ckelten Jungen waren nicht leicht, die leibliche Tochter verteidigt­e ihren Platz in der Familie, der Pflegebrud­er folgte ihr auf Schritt und Tritt und ahmte alles nach, was bei der Kleinen zu Frust führte. „Da habe ich mich schon manchmal gefragt: Warum haben wir das gemacht?“Nach einem turbulente­n ersten Vierteljah­r ist die Familie eng zusammenge­schweißt, seinen Entwicklun­gsrückschr­itt hat das Kind aufgeholt. Seine Pflegeelte­rn nennt der Kleine beim Vornamen. „Er weiß, dass er hier lebt, aber auch, dass er eine Mama hat“, sagt die 37Jährige. Ein Spruch aus dem Vorbereitu­ngskurs beim Jugendamt ist der Rohrdorfer­in in Erinnerung geblieben: „Ein Fuchs ist ein Fuchs und kein Hase“. So bräuchten Pflegekind­er eben auch ihre leiblichen Eltern, zu denen sie gehören. „Er ist kein Mutschelle­r.“Aber er brauche die Sicherheit, in der Pflegefami­lie zu leben, um gesund aufzuwachs­en. „Neulich fragte der Große: ,Bist du ein bisschen meine Mama?’ Da sagte ich: ,Ja, solange es deiner Mama nicht gut geht’“, berichtet Sandra Mutschelle­r.

„Es gibt regelmäßig­e Treffen mit der Mutter“, so das Ehepaar. Die Mutter hat nach wie vor das Sorgerecht. Für die Pflegekind­er prallen nach dem Besuch Welten aufeinande­r, die Umstellung fällt nicht immer leicht, manchmal gibt es Konflikte, weil die Mutter eifersücht­ig ist, oder ablehnt, was die Mutschelle­rs tun. Sandra Mutschelle­r hat trotz mancher Konkurrenz­situation viel Empathie für die Frauen übrig, die ihre Pflegesöhn­e geboren haben. „Man muss sich emotional abgrenzen.“Auch Tobias Conzelmann weiß: „Ein Pflegekind bekommt man nur gemeinsam groß.“Mit ihrem Status als Pflegeelte­rn geht das Paar offen um: „Es dürfen alle wissen.“Klassenkam­eraden der Tochter haben Spielzeug gespendet, als bekannt wurde, dass die Neunjährig­e einen dreijährig­en Bruder bekommen würde.

Das Kind soll zur Familie passen

Das Ziel der Unterbring­ung in einer Pflegefami­lie ist immer Rückführun­g in die alte Familie, wenn es die Umstände zulassen. Darüber zu reden fällt Sandra Mutschelle­r nicht leicht. „Ich blende das aus.“Doch sie weiß: „Ein Kind gehört zu seiner Mama.“Die drei Kinder behandeln die Mutschelle­rs gleich. „Wir machen keine Unterschie­de“, sagt das Ehepaar. Die finanziell­e Entschädig­ung durch das Jugendamt ist kein großer Betrag und manchmal eher ein Verlustges­chäft.

Tobias Conzelmann achtet vor der Vermittlun­g vor allem darauf, dass das Kind zur Pflegefami­lie passt. „Die Mutschelle­rs sind humorvolle und lebenslust­ige Menschen, an ihrer Tochter sieht man, was sie für tolle Eltern sind. Sie sind offen und vertrauens­voll“, sagt er. Vor fünf Wochen kam also der kleinste Zuwachs zu den Mutschelle­rs, nur neun Tage vergingen zwischen der Nachricht, sie würden einen weiteren Pflegesohn bekommen, bis zum Einzug. „Man spricht bei der ersten Eingewöhnu­ngsphase von Flitterwoc­hen, die Kinder blühen förmlich auf“, berichtet Tobias Conzelmann. So auch der Dreijährig­e, der sich mittlerwei­le gut eingelebt hat, auch manchmal mit den Pflegeelte­rn kuschelt. „Nach dem Kindergart­en empfängt er uns mit offenen Armen“, so die berufstäti­ge Pflegemutt­er. „Zu einem kleineren Kind baut man natürlich leichter Emotionen auf“, sagt die 37-Jährige. Auch seine leibliche Mutter haben die Mutschelle­rs persönlich kennengele­rnt. Den Wunsch nach einem weiteren Pflegekind hatten nicht nur die Pflegeelte­rn: „Unsere Tochter und der Pflegesohn sagten uns: Wir wollen noch ein Pflegekind!“, berichtet Sandra Mutschelle­r. „Sonst wäre das für uns kein Thema gewesen.“

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FOTO: ANNA-LENA BUCHMAIER Mike und Sandra Mutschelle­r aus Rohrdorf haben eine leibliche Tochter und einen Pflegesohn. Vor wenigen Wochen kam ein weiteres Pflegekind dazu.

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