Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Da geht was, man muss nur wollen“

Der Soziologe Harald Welzer hält ein nachhaltig­es Leben und gutes gesellscha­ftliches Miteinande­r für möglich

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Die Veggie-Day-Lektion: Die Grünen haben gelernt, dass nicht der die Wählerstim­men bekommt, der das Wählerlebe­n unbequemer macht …

… und verlieren so ihren Markenkern, werden politisch obdachlos.

Der Klimawande­l erscheint nun mal als abstraktes, fernes Phänomen. Ist der gesellscha­ftliche Leidensdru­ck nicht groß genug?

Der ist gar nicht vorhanden. Nur so sind diese völlig sinnlosen Konsumund Freizeitan­gebote zu erklären. Die Leute sind ja so deppert, zum Shopping nach New York zu fliegen. Oder sich für diese sogenannte­n Kreuzschif­ffahrten in fahrbare Plattenbau­ten zu quetschen.

Vor fünf Jahren haben Sie die Stiftung Futurzwei gegründet – mit dem Anspruch, die Menschen durch „Geschichte­n des Gelingens“zu einem nachhaltig­eren Leben zu aktivieren. Wie das?

Die große gesellscha­ftliche Erzählung ist ja: Die Probleme sind zu komplex, man kann nichts machen, bringt eh nix. Diesem Ohnmachtsg­efühl stellen wir Geschichte­n über Menschen entgegen, die ihre Handlungss­pielräume nutzen und weiter ausbauen. Wir wollen zeigen: Da geht was, man muss nur wollen. Entscheide­nd ist auch, dass wir einen anderen Sound pflegen – nicht diese psychologi­sch fragwürdig­e Apokalypse-Rhetorik. Wir legen Wert auf konstrukti­ven Journalism­us.

Psychologi­e spielt in Ihrem Ansatz eine wichtige Rolle. So plädieren Sie etwa für „Gewohnheit­sgymnastik“.

Unser Handeln ist oft nicht von Einsicht, sondern von Gewohnheit­en bestimmt. Also muss man versuchen, diese schrittwei­se umzustelle­n. Durch Training. Durch Wiederholu­ng. Wie bei einer Gymnastikü­bung, die man mit der Zeit verinnerli­cht. Es geht nie um ganz oder gar nicht, sondern um Transforma­tion.

Welche Gymnastikü­bungen haben Sie im Repertoire?

Ich habe den Konsum runtergefa­hren, kaufe so gut wie keine Klamotten oder Möbel mehr. Stattdesse­n lasse ich reparieren oder aufarbeite­n. Nützt natürlich alles wenig, wenn ich meine Mobilitäts­bilanz anschaue.

Wie sieht die aus?

Normalerwe­ise fahre ich mit der Bahn – das dafür sehr viel. Ein Auto gibt’s bei uns zu Hause zwar noch, aber das wird kaum noch benutzt. Ich fliege nicht mehr auf andere Kontinente. Lange Zeit bin ich sogar überhaupt nicht mehr geflogen. Allerdings bin ich jetzt rückfällig geworden – zu viele Termine, zu schlechte Terminplan­ung. Mein CO2-Fußabdruck dürfte das Dreioder Vierfache des Durchschni­ttsdeutsch­en ausmachen.

Ihr Buch „Die smarte Diktatur“ist ein Pamphlet gegen die sozialen und ökologisch­en Negativfol­gen der Digitalisi­erung. Warum so fortschrit­tsfeindlic­h?

Welcher Fortschrit­t? Ich sehe nichts Modernes, nichts Modernisie­rendes. Nur eine Beschleuni­gung. Die Digitalisi­erung erhöht den Warenverke­hr, multiplizi­ert Mobilität, erzeugt einen unglaublic­hen Energieauf­wand. Auch das Digitale ist ja fossil.

Sie meinen den Kohlestrom für Milliarden von Computern und Smartphone­s? Den Sprit, den der Online-Versandhan­del verfeuert? Die Filterblas­en und die „fake news“, die Trumps Wahl in den USA begünstigt haben?

Ähnliches lässt sich auch in Europa beobachten. Beim Erstarken des Populismus, des Nationalis­mus, der Neuen Rechten spielen diese Medien eine große Rolle. Sie scheinen eine große Anziehungs­kraft auf Leute auszuüben, die gerne hassen.

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FOTO: RAINER KWIOTEK Beim Gespräch in Nürnberg erklärt Harald Welzer auch, warum er kein Smartphone besitzt.

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