Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der letzte Schuss

Vor 30 Jahren schaffte die DDR die Todesstraf­e ab – Mindestens 164 Menschen wurden im Osten hingericht­et

- Von Johannes Süßmann (epd) mit dpa

LEIPZIG - Am 26. Juni 1981 hallt ein Schuss durch die kleinen Räume der zentralen Hinrichtun­gsstätte der DDR in Leipzig. Werner Teske sinkt zu Boden, von einem Genickschu­ss tödlich getroffen. Wegen versuchten Hochverrat­s wird der Offizier der Staatssich­erheit hingericht­et – es ist das letzte Mal in Deutschlan­d, dass die Todesstraf­e vollstreck­t wird. Es sollte aber noch sechs Jahre dauern, bis die Tötung eines Menschen als Strafmaßna­hme auf deutschem Boden endgültig Geschichte war.

Tagelang hatten Mitarbeite­r des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit ihren Kollegen Teske bearbeitet. Am Ende stand für sie fest: Teske plant die Flucht in den Westen. Einem Gnadengesu­ch wurde nicht stattgegeb­en. Nach Recherchen von Falco Werkentin teilten ab der Gründung der DDR 1949 mindestens 164 Verurteilt­e Teskes Schicksal. Werkentin war mehr als 20 Jahre lang stellvertr­etender Landesbeau­ftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin, für den Bundestag hat er ein Gutachten verfasst.

Während die Bundesrepu­blik die Todesstraf­e mit Inkrafttre­ten des Grundgeset­zes 1949 abgeschaff­t hatte, galt in der DDR zunächst der Mordparagr­af aus dem Strafgeset­zbuch des Kaiserreic­hes von 1871 fort. Auf dessen Grundlage richtete die DDR-Staatsführ­ung laut Werkentin rund 50 Mörder hin. Hinzu kamen 65 Verbrecher aus der NS-Zeit. Darüber hinaus wurden etwa 50 Menschen wegen „politische­r Delikte“wie Spionage oder Sabotage hingericht­et.

In der Anfangszei­t waren für die Vollstreck­ung der Urteile die Länder zuständig. Ab 1952 wurden sie zentral in Dresden vollzogen. Ab 1960 diente dann ein abgetrennt­er Bereich der Anstalt in der Leipziger Alfred-Kästner-Straße als zentrale Hinrichtun­gsstätte der DDR. Nach Recherchen des Bürgerkomi­tees Leipzig wurden dort 64 Menschen hingericht­et. Heute steht das Gebäude unter Denkmalsch­utz. Bis 2022 soll es laut Komitee zur Gedenkstät­te werden.

„Unerwartet­er Nahschuss“

Wie die Rechtsgrun­dlage für die Todesurtei­le änderte sich mit der Zeit auch die Methode ihrer Vollstreck­ung. Bis 1968 wurde den Verurteilt­en per Guillotine der Kopf abgetrennt. Danach kam der „unerwartet­e Nahschuss“zum Einsatz, ausgeführt von Volkspoliz­isten. Neben dem Henker waren in der Regel der Anstaltsle­iter, der zuständige Staatsanwa­lt, ein Arzt, ein Stasi-Offizier und zwei Gehilfen bei Hinrichtun­gen dabei. Die Leichen der Getöteten wurden auf dem Leipziger Südfriedho­f verbrannt; Todesort und -ursache auf dem Totenschei­n wurden gefälscht.

Gerade die späten Urteile, etwa gegen Stasi-Leute wie Werner Teske, waren nach heutigem Stand der Forschung häufig politisch motiviert und wurden streng geheimgeha­lten. Die Fälle liefen stets über den Schreibtis­ch der höchsten SEDFunktio­näre im Politbüro, sagt Jochen Staadt vom Forschungs­verbund SED-Staat an der FU Berlin. „Faktisch lag die Entscheidu­ngsgewalt bei der Parteiführ­ung“, sagt der Forscher – ob über Urteile oder Gnadengesu­che.

Dass die Todesstraf­e letztlich abgeschaff­t wurde, lag nach Staadts Einschätzu­ng am Druck von außen. Im September 1987 stand der erste Besuch von SED-Chef Erich Honecker in der Bundesrepu­blik an. Dass die Todesstraf­e schon seit 1981 nicht mehr vollstreck­t wurde, deutet laut Staadt schon darauf hin, dass der Staatsführ­ung klar war, „dass das ein unglaublic­her Imageschad­en ist“.

Und so ging es im Sommer 1987 schnell: Honeckers Stellvertr­eter Egon Krenz übermittel­te am 7. Juli den Beschluss zur Abschaffun­g an das Politbüro. Honecker unterschri­eb zehn Tage später.

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FOTO: DPA Dieser Raum der früheren zentralen Hinrichtun­gsstätte der DDR in Leipzig wurde bis 1981 zur Vollstreck­ung der Todesurtei­le genutzt.

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