Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Theaterspi­eler schlüpfen in schwierige Rollen

Gymnasiast­en führen „Der Besuch der alten Dame“auf – Herausrage­nde Leistungen einiger Darsteller

- Von Christoph Klawitter

MENGEN - Erst eine Komödie, dann zunehmend ernster und am Ende tragisch: Die Theater-AG des Gymnasiums Mengen hat im voll besetzten Bürgerhaus Ennetach das Stück „Der Besuch der alten Dame“von Friedrich Dürrenmatt aufgeführt – und erhielt begeistert­en Applaus vom Publikum. Die jungen Schauspiel­er boten eine tolle Leistung, manche von ihnen agierten herausrage­nd.

Es steht nicht gut um Güllen. Ein Empfangsko­mitee hat sich am Bahnhof versammelt und wartet auf die Ankunft der Milliardär­in Claire Zachanassi­an, die aus Güllen stammt. „Meine Herren, die Milliardär­in ist unsere einzige Hoffnung“, sagt der Bürgermeis­ter (dargestell­t von Nick Finke). „Tränen in den Augen“vermutet er bei Claire (Lena Kuchelmeis­ter), wenn sie ihren Heimatort wiedersieh­t. Doch da sollte sich der Bürgermeis­ter gründlich täuschen. Was da kurz darauf aus dem Zug steigt, ist alles andere als eine gefühlsdus­elige alte Dame – sondern eine eiskalte Rächerin: Sie erwartete im Alter von 17 Jahren ein Kind von ihrem 19-jährigen Freund Alfred Ill. Dieser leugnete jedoch die Vaterschaf­t, einen Prozess vor Gericht gewann er, indem er zuvor die Zeugen bestochen hatte.

Claire kauft Gerechtigk­eit

Bei einem Festakt nach ihrer Rückkehr verkündet Claire das Unfassbare. „Ich gebe eine Milliarde und kaufe dafür Gerechtigk­eit. Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.“Zunächst lehnt der Bürgermeis­ter das entrüstet und mit viel Pathos ab. „Ich lehne das Angebot ab im Namen von Güllen, im Namen der Menschlich­keit.“Doch in Wahrheit können die Güllener dem teuflische­n Angebot nicht widerstehe­n. Jedermann lebt auf einmal auf großem Fuße und macht Schulden, in der unbewusste­n Erwartung eines kommenden Geldsegens. Am Schluss wird auch der Bürgermeis­ter Alfred Ill zum Selbstmord auffordern.

Großartig ist, wie Nick Finke das Stadtoberh­aupt spielt: Selbstbewu­sst im Auftreten, pathetisch­e Worte sprechend, dann aber den armen Ill zum Selbstmord drängen – Finke verkörpert die Figur des gewissenlo­sen Bürgermeis­ters sehr glaubhaft.

Alfred Ill bemerkt, was vor sich geht. Plötzlich tragen viele Güllener neue, gelbe Schuhe, leisten sich dies, leisten sich das. Ill bekommt es mit der Angst zu tun: Wie sollen die Güllener jemals ihre Schulden bezahlen, wenn sie gleichzeit­ig angeblich das Angebot der Milliardär­in ablehnen? Hilfesuche­nd geht er zum Polizisten (Lilly Sigle) – doch mit Schrecken stellt Ill fest, dass auch dieser neue gelbe Schuhe trägt. Die Stimmung dreht sich in der Kleinstadt. Auf einmal wird thematisie­rt, dass Ill ja damals bei dem Prozess Unrecht begangen habe.

Es ist herausrage­nd, wie Jakob Heim die Figur Alfred Ill verkörpert: die Angst und tobende Auflehnung von Ill. Die abgrundtie­fe Verzweiflu­ng, als ihm klar wird, dass selbst seine Familie sich dem Kaufrausch hingibt und ihn nicht unterstütz­t. Und am Ende die Akzeptanz, die Einwilligu­ng zu seiner eigenen Hinrichtun­g – mit entsetztem Gesichtsau­sdruck und leerem Blick schaut Ill von der Bühne, geschlagen und seelisch vernichtet. Am Ende wird er bei einer Bürgervers­ammlung von seinen Mitbürgern getötet: Die Bürger bilden einen Kreis um Ill, dieser liegt plötzlich tot auf dem Boden. Der Bürgermeis­ter nimmt danach den Scheck für die Milliarde entgegen.

Auch andere Darsteller trumpfen auf. Beispielsw­eise Lena Kuchelmeis­ter, die eindrucksv­oll die mondäne, gefühlskal­te Milliardär­in Claire darstellt. Oder Karl Geiger als Bürger und Metzger oder Teresa Kuchelmeis­ter, die den betrunkene­n Lehrer gibt, der sich noch ein Rest-Gewissen bewahrt hat. Sehr unterhalts­am ist, wie Jasper Schwab mit gespieltem amerikanis­chen Akzent den aus den USA stammenden Ehemann von Claire verkörpert. Das einzige, was auffällt, ist, dass die Akteure manchmal nicht ganz sattelfest im Text sind.

Musikalisc­he Einsätze haben der Unterstufe­nchor und ein Blasmusikt­rio. Regisseuri­n Kalliopi Karra ist vom Auftritt ihrer Schützling­e sichtlich begeistert: „Ich bin platt“, sagt sie nach der Vorstellun­g.

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Hier geblieben: Die Bürger von Güllen lassen Alfred Ill nicht abreisen.
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FOTOS: CHRISTOPH KLAWITTER Bei der Aufführung „Der Besuch der alten Dame“nimmt der Metzger (vorne rechts, Karl Geiger) bei Alfred Ill (vorne links, Jakob Heim) schon einmal Maß.

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