Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Theaterspieler schlüpfen in schwierige Rollen
Gymnasiasten führen „Der Besuch der alten Dame“auf – Herausragende Leistungen einiger Darsteller
MENGEN - Erst eine Komödie, dann zunehmend ernster und am Ende tragisch: Die Theater-AG des Gymnasiums Mengen hat im voll besetzten Bürgerhaus Ennetach das Stück „Der Besuch der alten Dame“von Friedrich Dürrenmatt aufgeführt – und erhielt begeisterten Applaus vom Publikum. Die jungen Schauspieler boten eine tolle Leistung, manche von ihnen agierten herausragend.
Es steht nicht gut um Güllen. Ein Empfangskomitee hat sich am Bahnhof versammelt und wartet auf die Ankunft der Milliardärin Claire Zachanassian, die aus Güllen stammt. „Meine Herren, die Milliardärin ist unsere einzige Hoffnung“, sagt der Bürgermeister (dargestellt von Nick Finke). „Tränen in den Augen“vermutet er bei Claire (Lena Kuchelmeister), wenn sie ihren Heimatort wiedersieht. Doch da sollte sich der Bürgermeister gründlich täuschen. Was da kurz darauf aus dem Zug steigt, ist alles andere als eine gefühlsduselige alte Dame – sondern eine eiskalte Rächerin: Sie erwartete im Alter von 17 Jahren ein Kind von ihrem 19-jährigen Freund Alfred Ill. Dieser leugnete jedoch die Vaterschaft, einen Prozess vor Gericht gewann er, indem er zuvor die Zeugen bestochen hatte.
Claire kauft Gerechtigkeit
Bei einem Festakt nach ihrer Rückkehr verkündet Claire das Unfassbare. „Ich gebe eine Milliarde und kaufe dafür Gerechtigkeit. Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.“Zunächst lehnt der Bürgermeister das entrüstet und mit viel Pathos ab. „Ich lehne das Angebot ab im Namen von Güllen, im Namen der Menschlichkeit.“Doch in Wahrheit können die Güllener dem teuflischen Angebot nicht widerstehen. Jedermann lebt auf einmal auf großem Fuße und macht Schulden, in der unbewussten Erwartung eines kommenden Geldsegens. Am Schluss wird auch der Bürgermeister Alfred Ill zum Selbstmord auffordern.
Großartig ist, wie Nick Finke das Stadtoberhaupt spielt: Selbstbewusst im Auftreten, pathetische Worte sprechend, dann aber den armen Ill zum Selbstmord drängen – Finke verkörpert die Figur des gewissenlosen Bürgermeisters sehr glaubhaft.
Alfred Ill bemerkt, was vor sich geht. Plötzlich tragen viele Güllener neue, gelbe Schuhe, leisten sich dies, leisten sich das. Ill bekommt es mit der Angst zu tun: Wie sollen die Güllener jemals ihre Schulden bezahlen, wenn sie gleichzeitig angeblich das Angebot der Milliardärin ablehnen? Hilfesuchend geht er zum Polizisten (Lilly Sigle) – doch mit Schrecken stellt Ill fest, dass auch dieser neue gelbe Schuhe trägt. Die Stimmung dreht sich in der Kleinstadt. Auf einmal wird thematisiert, dass Ill ja damals bei dem Prozess Unrecht begangen habe.
Es ist herausragend, wie Jakob Heim die Figur Alfred Ill verkörpert: die Angst und tobende Auflehnung von Ill. Die abgrundtiefe Verzweiflung, als ihm klar wird, dass selbst seine Familie sich dem Kaufrausch hingibt und ihn nicht unterstützt. Und am Ende die Akzeptanz, die Einwilligung zu seiner eigenen Hinrichtung – mit entsetztem Gesichtsausdruck und leerem Blick schaut Ill von der Bühne, geschlagen und seelisch vernichtet. Am Ende wird er bei einer Bürgerversammlung von seinen Mitbürgern getötet: Die Bürger bilden einen Kreis um Ill, dieser liegt plötzlich tot auf dem Boden. Der Bürgermeister nimmt danach den Scheck für die Milliarde entgegen.
Auch andere Darsteller trumpfen auf. Beispielsweise Lena Kuchelmeister, die eindrucksvoll die mondäne, gefühlskalte Milliardärin Claire darstellt. Oder Karl Geiger als Bürger und Metzger oder Teresa Kuchelmeister, die den betrunkenen Lehrer gibt, der sich noch ein Rest-Gewissen bewahrt hat. Sehr unterhaltsam ist, wie Jasper Schwab mit gespieltem amerikanischen Akzent den aus den USA stammenden Ehemann von Claire verkörpert. Das einzige, was auffällt, ist, dass die Akteure manchmal nicht ganz sattelfest im Text sind.
Musikalische Einsätze haben der Unterstufenchor und ein Blasmusiktrio. Regisseurin Kalliopi Karra ist vom Auftritt ihrer Schützlinge sichtlich begeistert: „Ich bin platt“, sagt sie nach der Vorstellung.