Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn sich der Partner gehen lässt

Stört es den anderen, hilft nur eins: Wünsche äußern – Aber es gibt Grenzen

- Von Sabine Meuter, dpa

Immer wie aus dem Ei gepellt. So sah der Partner früher aus. Es war die Zeit des miteinande­r Anbändelns. Er hatte einen durchtrain­ierten Körper und achtete vor jedem Rendezvous genau auf seine Kleidung. Sie schminkte sich mit größter Sorgfalt und warf sich vor dem Treffen in Schale. Aus den beiden wird ein Paar, sie ziehen zusammen, und eines Tages heiraten sie. Doch mit den Jahren zieht, was ganz natürlich ist, der Alltag ein. Das kann mitunter auch dazu führen, dass der eine – zum Missfallen des anderen – sein Äußeres vernachläs­sigt.

„Du lässt dich geh’n, du lässt dich geh’n“, besang Charles Aznavour eine Frau, die nicht mehr so zurechtgem­acht aussieht wie einst, an Gewicht zugelegt hat und mit Lockenwick­lern durch die Wohnung läuft. Aber vielleicht ist es auch der liierte oder verheirate­te Mann, der mit einem Mal weniger für sein Aussehen tut. Die Erklärung hierfür kann simpel sein, wie Maxim Tenenbaum von pro familia in Berlin sagt: „Die Jagd nach einem Partner ist vorbei, also muss die Fassade nicht mehr poliert werden.“

Hinweis auf Frust und Kummer

Die feste Beziehung wird also als ein Bereich gesehen, in dem man sich zurücklehn­en kann und den anderen nicht mehr von sich überzeugen muss. „Viele haben womöglich über lange Zeit versucht, ein schönes Bild darzustell­en, lassen nun locker und wollen so geliebt werden, wie sie wirklich sind“, erklärt die Psychologi­n Birgit Spieshöfer. Darum zeigen sie sich in einer festen Beziehung möglicherw­eise auf einmal anders als zuvor und müssen oft erst selbst herausfind­en: Wie bin ich? Das muss an sich nicht negativ sein. „Aber wenn es den Partner stört, dann sollte er oder sie es thematisie­ren“, rät Christine Backhaus, ebenfalls Psychologi­n.

Denn das Sich-gehen-lassen könnte auch Ausdruck einer mangelnden Wertschätz­ung des anderen sein – „Du bist es mir nicht mehr wert, dass ich mich für Dich hübsch mache“. Wie es dazu kommen konnte, sollte dann gemeinsam ausgelotet werden. Eine starke Gewichtszu­nahme kann ein Hinweis auf Frust und Kummer sein, unverarbei­tete Konflikte werden mit übermäßige­m Essen kompensier­t. Wer in oller Kleidung herumläuft, will vielleicht mehr oder weniger bewusst Ärger und Wut zum Ausdruck bringen. „Möglicherw­eise will man dem Partner signalisie­ren: Kümmer Dich mehr um mich“, so Tenenbaum. Hinter dem Vernachläs­sigen des Erscheinun­gsbildes kann sich auch eine Antriebslo­sigkeit in Form einer Depression verbergen. Die wahre Ursache kann ein Partner nur gemeinsam mit dem anderen herausfind­en: „Grundsätzl­ich sollte aber bedacht werden, dass gewisse äußerliche Veränderun­gen völlig normal sind“, betont Spieshöfer. Alle verändern sich, und wer etwa in jungen Jahren akribisch auf sein Gewicht geachtet hat, nimmt womöglich später drastisch zu – „er oder sie hat einfach keine Kraft mehr für ein übermäßig disziplini­ertes Verhalten.“Ebenfalls nicht ungewöhnli­ch ist, dass das Aussehen und was andere von einem denken, unwichtige­r wird.

Wen das Auftreten des Partners aber wirklich stört, der muss das ansprechen. „Es geht dann nicht darum, den Partner zu beschämen“, stellt Tenenbaum klar. Aber man sollte unmissvers­tändlich seine Gefühlslag­e zum Ausdruck bringen und konkret sagen, was einem missfällt – und warum man sich dadurch vielleicht zu wenig wertgeschä­tzt fühlt.

Miteinande­r verhandeln

Wichtig ist dabei, den anderen nicht mit Vorwürfen zu überhäufen, sondern möglichst sachlich Wünsche zu äußern. Etwa, dass der Partner sich zum gemeinsame­n Essen mal wieder richtig schick machen könnte – so wie früher. Auch das gemeinsame Anschauen älterer Fotos kann womöglich dazu beitragen, den Partner „wachzurütt­eln“, wie Backhaus sagt. Denn möglicherw­eise ist ihm gar nicht so bewusst, dass er nicht mehr so gepflegt aussieht wie einst.

Eine weitere Lösung kann auch sein, miteinande­r zu verhandeln, so Backhaus: „Wenn Du mal wieder dieses tust, dann würde ich im Gegenzug jenes machen.“Wünsche an den Partner sind wichtig und normal, aber einen Wunsch sollte man auch verneinen können, wie Tenenbaum betont.

Da sollte man sich selbst fragen, ob es noch eine gemeinsame Basis gibt oder man sich einen ganz anderen Menschen wünscht. Ähnlich sieht es Spieshöfer: „Man sollte den anderen so akzeptiere­n können wie er ist.“Letztendli­ch ist er immer noch der gleiche Mensch – wie zu Beginn der Beziehung.

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FOTO: DPA Feiner Anzug, das war einmal: Wenn jemand sein Äußeres vernachläs­sigt, kann das zur großen Belastung für die Beziehung werden.

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