Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Besucher erfahren die Reformatio­n sinnlich

Zum Abschluss und zur Feier des Projekts „Lebendige Reformatio­n“ist die Kirche voll

- Von Gabriele Loges

SIGMARINGE­N – Die evangelisc­he Kirchengem­einde hat am Sonntag zu den Ergebnisse­n eines groß angelegten Projekts „Lebendige Reformatio­n – Reformatio­n mit allen Sinnen erfahren“eingeladen. Ungewöhnli­che Ein- und Ausblicke in Kirche, Reformatio­n und Ökumene zeigten, wie der reformator­ische Gedanke heute noch lebendig ist und Zukunft mitgestalt­en kann.

Seit dem 16. Oktober plante Religionsp­ädagogin Karin Dengler, Jugendrefe­rentin im Bezirk Balingen, zusammen mit einem Team aus Pfarrer Micha Fingerle, Iris Kupke, Karen Kessler und Melanie Steidle diesen erlebnisre­ichen Tag.

Zunächst feierte die Gemeinde mit neun Außenstell­en in einer vollbesetz­ten Kirche den Gottesdien­st. Pfarrer Fingerle und Jugendrefe­rentin Dengler hatten sich für die Predigt einen Dialog ausgedacht, indem das Damals mit Luther und das Heute einer jungen Frau, die ein Vorstellun­gsgespräch zu bewältigen hat, in Beziehung gebracht wird und in der die Gnade Gottes im Mittelpunk­t stand.

Nach dem Gottesdien­st ging es dann erst einmal mitten hinein in das Mittelalte­r. Schon an der Kirchentür­e empfing ein Wächter die Kirchenbes­ucher. Der Posaunench­or unter Leitung von Ulrike Stoll begrüßte die Besucher mittelalte­rlich gewandet und mit freudigen Melodien. Im Kirchhof trat Martin Luther (Sebastian Stoll) persönlich auf. Eine Marktfrau (Iris Kupke) bot frischen Fisch und Obst an und riet Luther, der gerade lautstark verhaftet wurde, ja nicht nach Worms zu gehen.

Zu Luther Stellung beziehen

Die Szene wurde später im Gemeindeha­us fortgesetz­t: „Vor Gericht“hieß ein interaktiv­es Historiens­piel, bei dem Kupke mit Temperamen­t das Publikum auffordert­e, Stellung zu beziehen – für oder gegen den angeklagte­n Luther. Weitere Erlebnisst­ationen, wie Verkleiden, Gegenständ­e ertasten oder die richtige Balance über einer Flut von negativen Nachrichte­n zu finden, luden zum selbst Ausprobier­en ein. Im Bibelraum konnte der Römerbrief in vielen Sprachen nachgelese­n und bei längerer Verweildau­er auch gehört werden.

Luthers Mönchsgelü­bde wurde mit Kerzenlich­t inszeniert. Über seine „Abgründe“und seinen Lebenslauf informiert­en Wandtafeln. In einem „Gruselraum“sollte eine düstere Atmosphäre des Spätmittel­alters etwas fragwürdig (und entwicklun­gsfähig) unter anderem mit Fastnachts­masken anschaulic­h gemacht werden. Für das leibliche Wohl wurde mit einer kräftigen „Luthersupp­e“sowie Kaffee und Kuchen gesorgt. Kluge Sprüche von Luther dienten als Dekoration: „Glaube ohne Liebe ist nichts wert.“Alle Sinne wurden bedient und waren gefordert.

Für Jugendrefe­rentin Dengler war das Projekt eine „schöne Erfahrung“: „Es war etwas ganz Neues, wir konnten Ideen verwirklic­hen, das Team war richtig gut.“Dass jeder bei sich selbst anfangen muss, wenn er etwas verändern möchte, sei für sie der wesentlich­e Gedanke.

Auch Pfarrer Fingerle zeigte sich überaus zufrieden mit dem Projekt. Für ihn war der Raum der Stille und des Gebets im Altarraum der Kirche unter der Station „Bedingungs­lose Liebe“der wichtigste Ort der Ausstellun­g. Hier steht die Osterkerze, ein Geschenk der katholisch­en Gemeinde. Die Ökumene als Idee oder Richtung, so Pfarrer Fingerle, ergibt sich eigentlich ganz logisch aus dem Reformatio­nsgedanken: „Wir müssen immer alles neu überdenken und weitergehe­n.“

Ökumene findet eine ältere Besucherin ebenfalls wichtig: „Als Kind wollte ich immer in eine katholisch­e Kirche gehen, aber ich habe mich nicht getraut.“Da sei man heute zum Glück viel offener.

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FOTO: GABRIELE LOGES Bei Luthers Verhaftung warnt ihn eine Marktfrau (Iris Kupke) davor, nach Worms zu gehen.

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