Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Besucher erfahren die Reformation sinnlich
Zum Abschluss und zur Feier des Projekts „Lebendige Reformation“ist die Kirche voll
SIGMARINGEN – Die evangelische Kirchengemeinde hat am Sonntag zu den Ergebnissen eines groß angelegten Projekts „Lebendige Reformation – Reformation mit allen Sinnen erfahren“eingeladen. Ungewöhnliche Ein- und Ausblicke in Kirche, Reformation und Ökumene zeigten, wie der reformatorische Gedanke heute noch lebendig ist und Zukunft mitgestalten kann.
Seit dem 16. Oktober plante Religionspädagogin Karin Dengler, Jugendreferentin im Bezirk Balingen, zusammen mit einem Team aus Pfarrer Micha Fingerle, Iris Kupke, Karen Kessler und Melanie Steidle diesen erlebnisreichen Tag.
Zunächst feierte die Gemeinde mit neun Außenstellen in einer vollbesetzten Kirche den Gottesdienst. Pfarrer Fingerle und Jugendreferentin Dengler hatten sich für die Predigt einen Dialog ausgedacht, indem das Damals mit Luther und das Heute einer jungen Frau, die ein Vorstellungsgespräch zu bewältigen hat, in Beziehung gebracht wird und in der die Gnade Gottes im Mittelpunkt stand.
Nach dem Gottesdienst ging es dann erst einmal mitten hinein in das Mittelalter. Schon an der Kirchentüre empfing ein Wächter die Kirchenbesucher. Der Posaunenchor unter Leitung von Ulrike Stoll begrüßte die Besucher mittelalterlich gewandet und mit freudigen Melodien. Im Kirchhof trat Martin Luther (Sebastian Stoll) persönlich auf. Eine Marktfrau (Iris Kupke) bot frischen Fisch und Obst an und riet Luther, der gerade lautstark verhaftet wurde, ja nicht nach Worms zu gehen.
Zu Luther Stellung beziehen
Die Szene wurde später im Gemeindehaus fortgesetzt: „Vor Gericht“hieß ein interaktives Historienspiel, bei dem Kupke mit Temperament das Publikum aufforderte, Stellung zu beziehen – für oder gegen den angeklagten Luther. Weitere Erlebnisstationen, wie Verkleiden, Gegenstände ertasten oder die richtige Balance über einer Flut von negativen Nachrichten zu finden, luden zum selbst Ausprobieren ein. Im Bibelraum konnte der Römerbrief in vielen Sprachen nachgelesen und bei längerer Verweildauer auch gehört werden.
Luthers Mönchsgelübde wurde mit Kerzenlicht inszeniert. Über seine „Abgründe“und seinen Lebenslauf informierten Wandtafeln. In einem „Gruselraum“sollte eine düstere Atmosphäre des Spätmittelalters etwas fragwürdig (und entwicklungsfähig) unter anderem mit Fastnachtsmasken anschaulich gemacht werden. Für das leibliche Wohl wurde mit einer kräftigen „Luthersuppe“sowie Kaffee und Kuchen gesorgt. Kluge Sprüche von Luther dienten als Dekoration: „Glaube ohne Liebe ist nichts wert.“Alle Sinne wurden bedient und waren gefordert.
Für Jugendreferentin Dengler war das Projekt eine „schöne Erfahrung“: „Es war etwas ganz Neues, wir konnten Ideen verwirklichen, das Team war richtig gut.“Dass jeder bei sich selbst anfangen muss, wenn er etwas verändern möchte, sei für sie der wesentliche Gedanke.
Auch Pfarrer Fingerle zeigte sich überaus zufrieden mit dem Projekt. Für ihn war der Raum der Stille und des Gebets im Altarraum der Kirche unter der Station „Bedingungslose Liebe“der wichtigste Ort der Ausstellung. Hier steht die Osterkerze, ein Geschenk der katholischen Gemeinde. Die Ökumene als Idee oder Richtung, so Pfarrer Fingerle, ergibt sich eigentlich ganz logisch aus dem Reformationsgedanken: „Wir müssen immer alles neu überdenken und weitergehen.“
Ökumene findet eine ältere Besucherin ebenfalls wichtig: „Als Kind wollte ich immer in eine katholische Kirche gehen, aber ich habe mich nicht getraut.“Da sei man heute zum Glück viel offener.