Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bessere Pflegenote­n nicht in Sicht

Betreiber haben Frist der Regierung verstreich­en lassen und bislang kein neues Bewertungs­system vorgelegt

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Seit Jahren wird um eine Reform der Pflegeheim-Benotungen gerungen, damit Betroffene endlich klare Informatio­nen über Qualität und Ausstattun­g der Einrichtun­gen bekommen. Zwar mangelt es – noch – nicht an Heimen. Aber jeder zweite Bundesbürg­er befürchtet, im Alter nicht das passende zu finden. Ein „besorgnise­rregender Befund“, sagte der Gesundheit­sexperte der Bertelsman­n Stiftung, Stefan Etgeton, am Donnerstag bei der Vorstellun­g einer Emnid-Umfrage zur Pflege in Berlin.

Schuld an der Verunsiche­rung ist das Versagen des sogenannte­n Pflege-TÜVs, der vor acht Jahren eingeführt worden ist, aber sein Ziel völlig verfehlt. Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n fänden auf viele Fragen keine Antworten, wenn sie ein Heim suchen“, sagte Etgeton zum Ergebnis der Emnid-Umfrage.

Der Pflege-TÜV wurde 2009 eingeführt, doch stellte er den Heimen und Diensten fast ausnahmslo­s Bestnoten aus. Die Bundesregi­erung beauftragt­e daraufhin die Pflegepart­ner – also die Betreiber der Einrichtun­gen und die Pflegekass­en – ein neues Bewertungs­system zu entwickeln. Doch daraus wird vorerst nichts: Die Frist des Gesetzgebe­rs lief im März aus. Aber erst in einem Jahr würden die beauftragt­en Wissenscha­ftler neue Vorschläge zur Messung der Pflegequal­ität auf den Tisch legen, so Gernot Kiefer vom Vorstand des Spitzenver­bandes der gesetzlich­en Pflegekass­en. Die tatsächlic­he Reform könne bis 2020 dauern, wird nun befürchtet. Das will die Bundesregi­erung nicht hinnehmen, denn die Zahl der Pflegebedü­rftigen steigt jedes Jahr um 50 000 an.

Dass der Pflege-TÜV noch nicht reformiert ist, hat einen strukturel­len Grund: Zuständig sind die Kassen und die Betreiber, und keiner hat ein Interesse an aussagekrä­ftigen Noten, die auch Schwächen aufdecken. „Die Krankenkas­sen wollen billige Einrichtun­gen. Und die Anbieter wollen ebenfalls niedrige Kosten und scheuen konsequent­e, gute Kontrollen“, sagte der SPD-Experte Karl Lauterbach der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Beide Seiten verhindern die Reform – auf Kosten der Versichert­en.“Weil die Selbstverw­altung versagt habe, müsse die Politik jetzt klare Vorgaben machen und selbst für die Umsetzung sorgen – durch unabhängig­e Prüfer.

Mehr Informatio­n gefordert

Vorschläge für die Reform lieferte die Bertelsman­n Stiftung. Im neuen Pflege-TÜV müssten Informatio­nen zur Pflegequal­ität, zum Personalei­nsatz und auch zur Lebensqual­ität in einem Heim verständli­ch nachzulese­n sein, auch online. Doch ob es tatsächlic­h in absehbarer Zeit zu verlässlic­hen Zeugnissen für die Heime kommt, steht in den Sternen. Notwendig dafür wären auch unangemeld­ete Kontrollen, wogegen sich die Betreiber sträuben. Die beauftragt­en Wissenscha­ftler hätten festgestel­lt, dass es „kein Patentreze­pt gibt“, sagte der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes privater Anbieter sozialer Dienstleis­tungen (bpa), Bernd Tews, zur Kritik, die Pflege-TÜV-Reform zu verzögern. Wer der Selbstverw­altung eine Verzögerun­g andichten wolle, „verkennt die Realitäten“.

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FOTO: DPA Jeder zweite Bundesbürg­er befürchtet, im Alter nicht das passende Heim zu finden, hat eine EmnidUmfra­ge ergeben.

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