Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Branche bastelt an gesünderen Rezepten
Ministerium setzt auf freiwillige Reduktion von Zucker und Salz in Nahrungsmitteln
NECKARSULM (dpa) - Zum Frühstück Schokoflocken, später noch ein Knusperriegel samt Pausenbrot – schon gegen Mittag könnten viele Deutsche die empfohlene Zuckerobergrenze gerissen haben. Also runter mit dem Zucker, mahnen Mediziner. Und was tun hierbei Supermärkte und Discounter?
Explosion der Gesundheitskosten befürchtet
„Wir haben ein massives Überfettungsproblem hierzulande“, sagt der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Krankheiten wie Fettleibigkeit (Adipositas) und Diabetes nähmen überhand, „und die Gesundheitskosten fliegen uns um die Ohren“. Die Lebensmittelbranche habe ihren Anteil an dieser Misere, kritisiert Heinemann. Discounter und Supermarktketten nehmen das Problem nun allerdings stärker in den Fokus und lassen verlauten, sie wollten die Rezeptur ihrer Eigenmarken jetzt optimieren.
Lidl macht dazu konkrete Zielvorgaben. Bis 2025 soll der Salz- und Zuckergehalt der Eigenmarken um 20 Prozent sinken. Gestartet wurde mit Frühstücksflocken. Der Zuckeranteil von „Honey Rings“wurde nach Angaben der Firma um rund 30 Prozent auf 23,9 Gramm pro 100 Gramm gesenkt. „Lidl bringt Schwung in die Debatte“, sagt Oliver Huizinga von Foodwatch. „Die anderen Handelskonzerne tun sich noch schwer, ein konkretes Ziel mit einer Zahl zu nennen.“20 Prozent weniger Zucker und Salz sei durchaus ambitioniert.
Tatsächlich äußern sich andere Händler bei dem Thema vage. „Wir wollen die ausgewogene Ernährung unserer Kunden fördern und setzen uns seit einigen Jahren für eine gesündere Produktzusammenstellung ein“, teilt Aldi Nord mit. Von Aldi Süd heißt es, man sei „grundsätzlich bestrebt, den Zuckergehalt in den von uns gehandelten Artikeln so gering wie möglich zu halten“. Man habe „in vielen Warenbereichen bereits individuelle Rezepturänderungen im Hinblick auf die Reduktion von Salz und Zucker durchgeführt“, etwa bei Broten, Müsli oder Pudding. Die Supermarktkette Real will bis Ende 2017 die Rezepturen von eigenen Produkten „überprüfen und gegebenenfalls optimieren“.
Kürzlich legte Rewe seine Pläne auf den Tisch. Das langfristig geplante Reduktionsprogramm für Speiseeis, Cerealien, Brot und Getränke aus Eigenmarken soll „möglichst ohne wesentliche Veränderung der Sensorik der Produkte einhergehen“. Die Geschmackserwartungen der Kunden ließen sich nur über einen längeren Zeitraum ändern, so ein ReweSprecher. „Wir wollen unseren Kunden Zeit geben, sich geschmacklich auf die veränderten Rezepturen einzustellen.“Um wie viel Prozent der Zucker- und Salzgehalt sinken soll, sagt Rewe im Gegensatz zu Lidl nicht.
Kunde soll Produktveränderung nicht bemerken
Die Kunden selbst bekommen von dem schleichenden Prozess wohl nichts mit – nur wenn sie die Angaben auf Produkten mit älteren Verpackungen vergleichen, könnten sie den geringeren Zuckergehalt bemerken. Eine gesonderte Auszeichnung ist laut Rewe erst ab einer Reduktion um 25 Prozent bei Salz und 30 Prozent bei Zucker zulässig, bezogen auf ein vergleichbares Lebensmittel. Das aber wird nicht angestrebt. „Eine derart starke Reduktion in einem Schritt ist so gut wie nicht möglich, da der Kunde geschmacklich so ein ,anderes Produkt’ erhält“, sagt ein Rewe-Sprecher.
Mit ihrem Weniger-Zucker-Kurs liegen Lidl und die anderen Ketten auf Linie des Bundesernährungsministeriums. Die Behörde hatte kürzlich eine Strategie entwickelt, der zufolge der Zucker- und Salzgehalt in Lebensmitteln mit freiwilligen Vorgaben der Firmen gesenkt werden soll.
Laut Foodwatch ist das jedoch der falsche Weg. Fettleibigkeit und Diabetes sind aus Sicht der Organisation eine enorm hohe Gefahr für die öffentliche Gesundheit. „Da darf der Gesetzgeber nicht allein auf freiwillige Empfehlungen an die Wirtschaft setzen“, sagt Gesundheitsexperte Huizinga. Schon jetzt sei jeder vierte Bundesbürger stark übergewichtig, Tendenz steigend.
Firmen sollten zum Beispiel für die Herstellung besonders zuckriger Lebensmittelprodukte extra besteuert werden. Aus seiner Sicht zeigen Supermärkte und Discounter nun zwar richtige Ansätze, aber das reiche nicht aus, so Huizinga.
Bessere Aufklärung der Verbraucher gefordert
Handelsexperte Heinemann wiederum hat Zweifel, dass sich am ungesunden Konsumverhalten in Deutschland alsbald etwas ändert. „Es gibt in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen bekundetem und tatsächlichem Konsumverhalten“, sagt der Professor. „Fragt man den Verbraucher, was er kaufe im Supermarkt, nennt er nur gesunde Lebensmittel. Doch wenn er vor dem Regal steht, greift er trotzdem zu Süßgetränken und Schweinebauch zum Grillen.“Der Verbraucher müsse dringend besser aufgeklärt werden.