Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

EuGH lehnt Ausnahmen von Asylrecht ab

Urteil: Dublin-Regeln galten auch auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Aufatmen im Kanzleramt: Aus Luxemburg kam am Mittwoch die Nachricht, dass Angela Merkel in der Flüchtling­skrise nicht gegen Europäisch­es Recht verstoßen hat, wie es ihr Kritiker vorgeworfe­n hatten. Das „Wir schaffen das!“der Kanzlerin, ihre Entscheidu­ng, im September 2015 Flüchtling­e aus einem sicheren Herkunftsl­and wie Ungarn in Deutschlan­d aufzunehme­n, sei durch ein „Selbsteint­rittsrecht“gedeckt, das es jedem EU-Mitglied ermöglicht, Asylbewerb­er aufzunehme­n, um andere europäisch­e Partner zu unterstütz­en. Genugtuung bei der Regierungs­chefin über das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), aber auch ihre Kritiker sehen sich bestätigt.

Das Urteil des EuGH, es ist ein „Ja, aber“. So stellten die Richter klar, dass die Dublin-Regeln, die EU-Asylregeln, weiter Bestand haben. Danach müssen Flüchtling­e ihren Asylantrag in dem Land der EU stellen, in dem sie zuerst ankommen. Migranten, die aus einem anderen Land der EU kommen, können wieder zurückgesc­hickt werden. Geschieht dies nicht innerhalb von drei Monaten, so die Richter, gibt es ein Anspruch auf die Eröffnung eines Asylverfah­rens. Ein Syrer und zwei Afghanen hatten beim EuGH geklagt. Sie hatten in Slowenien und Österreich Asyl beantragt, waren zuvor aber bereits in Kroatien gewesen, was als sicheres Herkunftsl­and zuständig gewesen wäre.

Innenminis­terium: wenige Fälle

Im September 2015 hatten sich Zehntausen­de von Flüchtling­en aus Ungarn auf den Weg nach Deutschlan­d gemacht. Die Kanzlerin hatte schließlic­h aus humanitäre­n Gründen entschiede­n, sie per Bahn nach Deutschlan­d zu holen. Die Folge: Fortan kamen täglich mehr als 10 000 Flüchtling­e. Auf die Willkommen­skultur folgten bald die Klagen der Länder und Kommunen, dass der Ansturm kaum geordnet zu bewältigen sei. Von „Kontrollve­rlust“war die Rede. Merkels umstritten­e Entscheidu­ng führte zu einem monatelang­en Streit der Unionspart­eien. Jetzt die höchstrich­terliche Absolution für die Kanzlerin. Ein Urteil, in dem sich aber auch ihre Kritiker wiederfind­en. Merkels Entscheidu­ng, die Grenzen zu öffnen, so das Urteil der Richter, sei mit europäisch­em Recht vereinbar. Dennoch müssten auch die Dublin-Regeln weiter angewendet werden. Die Generalanw­ältin des Europäisch­en Gerichtsho­fs, Eleanor Sharpston, war dagegen der Meinung gewesen, dass angesichts des enormen Flüchtling­sstroms die strikte Anwendung der Dublin-Regeln nicht infrage kommen konnte. Dem folgten die Richter nicht. „Mit dem Urteil wird die Dublin-Verordnung erheblich gestärkt. Das Gericht stellt klar, dass jeder Mitgliedst­aat für die Einhaltung europäisch­en Rechts verantwort­lich ist“, erklärte Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“. Für Asylfälle in Deutschlan­d hat das EuGHUrteil nach Behördenan­gaben keine große Bedeutung. „Es dürften allenfalls wenige Fälle in Deutschlan­d sein, für die das Urteil relevant sein könnte“, sagte ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums. Die Rücküberst­ellungen von Migranten, die Ende 2015 und Anfang 2016 nach Deutschlan­d gelangten, sind nach Angaben des Ministeriu­ms zum einen fast abgeschlos­sen. Zum anderen habe Deutschlan­d solche Abschiebun­gen bei zahlreiche­n Migranten, insbesonde­re Syrern, gar nicht erst eingeleite­t. „Bei einem großen Teil der im Herbst 2015 und im Frühjahr 2016 Gekommenen kam es ohnehin zu einer Ausübung des Selbsteint­rittsrecht­es“, sagte der Ministeriu­mssprecher „Das EuGH-Urteil zeigt: Wir müssen Italien schnell helfen“, erklärte SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz. Bundeskanz­lerin Merkel hatte am Mittwoch mit dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Paolo Gentiloni telefonier­t und dabei zugesagt, künftig pro Monat 750 statt bisher 500 Flüchtling­e zu übernehmen.

 ?? FOTO: DPA ?? Flüchtling­e im September 2015 in Budapest: Angela Merkels Entscheidu­ng, damals Flüchtling­e aus einem sicheren Herkunftsl­and aufgenomme­n zu haben, ist durch ein „Selbsteint­rittsrecht“gedeckt.
FOTO: DPA Flüchtling­e im September 2015 in Budapest: Angela Merkels Entscheidu­ng, damals Flüchtling­e aus einem sicheren Herkunftsl­and aufgenomme­n zu haben, ist durch ein „Selbsteint­rittsrecht“gedeckt.

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