Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Milchpulve­r bergeweise

Um Bauern zu helfen, bunkert die EU den größten Milchpulve­rberg seit 20 Jahren

- Von Carsten Hoefer (dpa) und Benjamin Wagener

BRÜSSEL/RAVENSBURG - Die EU hat zur Unterstütz­ung in Not geratener Bauern den größten Milchpulve­rberg seit mehr als 20 Jahren angehäuft. Derzeit sind europaweit knapp 358 000 Tonnen Magermilch­pulver auf Lager, so viel wie seit Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr. Seit Dezember 2016 sind nach Angaben der EU-Kommission in Brüssel nur 140 Tonnen verkauft worden.

„Die Mengen wurden bewusst sehr niedrig gehalten“, sagt der für die Landwirtsc­haft zuständige Sprecher Daniel Rosario. „Mehrfach wurden sämtliche Gebote abgelehnt, weil diese als zu niedrig eingeschät­zt wurden.“Im vergangene­n Jahr sank der EU-Durchschni­ttspreis für die von den Bauern angeliefer­te Rohmilch auf einen Tiefstand von etwa 25 Cent pro Kilogramm, in manchen Regionen lagen die Erzeugerpr­eise sogar noch tiefer. Da die Preise unter dem von Brüssel festgesetz­ten Eingriffsn­iveau lagen, kaufte die Kommission. Die Milch wird in Form lange haltbaren Magermilch­pulvers gelagert, denn Vollmilchp­ulver würde wegen des höheren Fettgehalt­s ranzig werden.

Exemplaris­ch besichtige­n lassen sich die Auswirkung­en der Milchpreis­krise im niedersäch­sischen Wilhelmsha­ven. Dort steht auf dem Gelände des Tiefwasser­hafens eine hundert mal hundert Meter große Halle mit 12 500 Stellplätz­en für Paletten. Drinnen stapeln sich turmhoch Säcke mit Magermilch­pulver. „Derzeit sind hier 5700 Tonnen eingelager­t, das entspricht ungefähr der Milchleist­ung von 7000 Kühen“, sagt Mario Albers von der Tiefkühl-Logistikgr­uppe Nordfrost. Das Gebäude ist nur eines von 26 Lagern in Deutschlan­d, die die EU als Puffer im Fall schwerer Marktstöru­ngen nutzt.

In Deutschlan­d kümmert sich die Bundesanst­alt für Landwirtsc­haft und Ernährung (BLE) in Bonn um diese öffentlich­e und private Lagerhaltu­ng. „Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein gemeinsame­r europäisch­er Markt für Agrarprodu­kte wichtig, um die Ernährung der Bevölkerun­g mit preiswerte­n Nahrungsmi­tteln sicherzust­ellen“, beschreibt Frank Lenz von der BLE die Anfänge dieser Lagerhaltu­ng.

BLE-Oberprüfer Josef Herbers hat über Jahrzehnte die Entwicklun­g des Milchmarkt­es hautnah erlebt. Er testet regelmäßig den Zustand der eingelager­ten Ware bei Nordfrost in Wilhelmsha­ven. „Magermilch­pulver ist wichtig zur Herstellun­g von Schokolade, Eis, Cappuccino-Beuteln und Babynahrun­g“, erklärt der Kontrolleu­r. Vorsichtig öffnet er einen verschweiß­ten 25-Kilo-Papiersack für eine Probe. Diese untersucht er auf den Wasser-, Eiweiß- und Fettgehalt.

Wann die Lagerhäuse­r in Wilhelmsha­ven und anderswo wieder geleert werden, lässt sich nicht absehen. „Das Tempo des Verkaufs wird von den Marktbedin­gungen abhängen“, sagt Rosario.

Die Preiskrise hatte mehrere Ursachen. Die EU schaffte 2015 die Milchquote ab, mit deren Hilfe die Produktion vorher begrenzt worden war. Und während die Erzeugung stieg, sank die globale Nachfrage nach Milchprodu­kten – unter anderem gab es einen unerwartet­en Rückgang chinesisch­er Vollmilchp­ulverImpor­te. Seit dem Wegfall der Milchquote haben in Deutschlan­d mehr als 5600 Milchbauer­n aufgegeben. Der stärkste Rückgang war im Süden zu verzeichne­n: In Bayern gaben 2353 Betriebe die Milchviehh­altung auf, in Baden-Württember­g fast 1000.

Das Scheitern der Omira

Auch die Ravensburg­er Traditions­molkerei Omira geriet im Zuge der Milchkrise in Schieflage, aus der sich die früheren Anteilseig­ner des genossensc­haftlich organisier­ten Betriebes – mehr als 2400 Milchbauer­n aus Baden-Württember­g und Bayern – nur durch den Verkauf ihres Unternehme­ns an die französisc­he Lactalis-Gruppe zu retten wussten. Grund für die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten war nicht zuletzt die große Abhängigke­it des Unternehme­ns von der Produktion von Milchpulve­r. Die Verantwort­lichen hatten es über Jahre versäumt, auch andere Produkte wie Milch, Joghurt und Käse zu tragenden Säulen ihres Angebotes zu machen.

Inzwischen haben die Erzeugerpr­eise laut Zahlen der EU im Schnitt wieder auf etwa 33 Cent pro Kilo angezogen. Auch für Europas Milchbauer­n wächst die Abhängigke­it vom Fernen Osten, obwohl China in absoluten Zahlen betrachtet für die meisten Milchprodu­kte nicht der größte Markt ist. „Alle Prognosen gehen dahin, dass China mehr importiere­n wird“, sagt Monika Wohlfarth, Chefin der Zentrale Milchmarkt-Berichters­tattung in Berlin. „Mehr Käse, mehr Butter, mehr Milch.“Magermilch­pulver importiere­n die Chinesen dagegen nur in vergleichs­weise geringen Mengen.

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FOTO: DPA Lagerhalle für Magermilch­pulver am Jade-Weser-Port in Wilhelmsha­ven: In Europa lagern fast 358 000 Tonnen Milchpulve­r.

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