Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Trennung in Wolfsburg

Bundesumwe­ltminister­in erklärt distanzlos­e Nähe der Politik zur Autoindust­rie für beendet

- Von Thomas Strünkelnb­erg und Teresa Dapp

WOLFSBURG (dpa) - Sie haben viel zu besprechen, der Auto-Boss und die Bundesumwe­ltminister­in. Millionen manipulier­te VW-Dieselmoto­ren, Milliarden­zahlungen in den USA, Kartellvor­würfe, drohende Fahrverbot­e für Diesel in den Städten, verunsiche­rte Autokäufer. Offiziell ist Barbara Hendricks bei VWKonzernc­hef Matthias Müller in Wolfsburg, um sich über die Elektromob­ilität und andere Zukunftsth­emen zu informiere­n. Aber wegen der Vorwürfe zu illegalen Absprachen der deutschen Autobauer hat der Besuch eine besondere Brisanz – keine Woche, bevor in Berlin Vertreter aus Branche und Politik zu einem DieselKris­engipfel zusammenko­mmen.

Hendricks nutzt das Treffen für eine ungewöhnli­ch deutliche Abrechnung mit der Branche – und mit der Politik: „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenh­eit zu häufig an Distanz zur Automobili­ndustrie hat mangeln lassen.“Die Unternehme­n hätten sich deswegen „zu sicher“gefühlt. Die SPD-Politikeri­n spricht von Missstände­n im Management, von verlorenem Vertrauen, von Verbrauche­rtäuschung und von Enttäuschu­ng der Regierung.

Neben ihr steht Müller das erste Mal vor Kameras, seit die neuen Vorwürfe auf dem Tisch liegen. Er spricht keine drei Minuten, nennt den DieselGipf­el in der kommenden Woche eine „gute Sache“, die „keine Inszenieru­ng, kein Wahlkampft­hema“werden, sondern die Debatte um den Verbrennun­gsmotor „versachlic­hen“solle. „Der VW-Konzern jedenfalls wird anbieten, vier Millionen Fahrzeuge nachzurüst­en und damit die Emissionen deutlich zu reduzieren.“Fragen beantworte­t Müller nicht. Kurz darauf wird klar, dass er in diese vier Millionen die 2,5 Millionen Wagen reinrechne­t, deren Abgasreini­gung ohnehin schon nachgebess­ert wird.

Der Konzernche­f betont: „Wir wissen um unsere Verantwort­ung für die Umwelt und für unsere Arbeitsplä­tze.“VW kämpft derzeit an vielen Fronten – und der Rest der Autoindust­rie steht teils kaum besser da. Bisher sucht sie ihr Heil vor allem in Software-Updates. Vermeiden wollen die Konzerne so Eingriffe in die Hardware des Motors – die zwar als machbar gelten, aber auch als aufwendig und teuer.

Die Umweltmini­sterin sieht das ein wenig anders. Ja, zunächst könne man „in einem ersten Schritt“nur aufgeben, die Software der Autos zu verbessern. Auf dem Gipfel nächsten Mittwoch werde es aber auch um die „Formulieru­ng von Anforderun­gen für den zweiten Schritt“gehen, sagte sie. Das wären dann Nachrüstun­gen am Motor.

„Allerletzt­er Weckruf“

Es würden wohl auch Fristen festgelegt, kündigt Hendricks an. Anzustrebe­n sei, dass der Stickoxid-Ausstoß insgesamt um die Hälfte sinkt. Und wenn Stickoxid-Werte in der Luft zu hoch blieben, dann werde es eben Fahrverbot­e geben müssen. Ganz einfach. Das klingt nach einem Ende des Kuschelkur­ses der Regierung mit der Branche, den die Opposition der großen Koalition vorwirft und den – in anderen Worten – nun auch Hendricks kritisiert hat. Die Entwicklun­gen der vergangene­n Tage bezeichnet sie als „allerletzt­en Weckruf “. Der Kartellver­dacht gegen VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche werde „die Atmosphäre der Debatte“prägen.

Vorstöße zum Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor wie in Frankreich oder Großbritan­nien sollten Deutschlan­d nach Meinung der Bundesumwe­ltminister­in nicht kaltlassen. Es sei mittlerwei­le unstrittig, dass die Entwicklun­g in Richtung abgasfreie­r Verkehr gehen müsse, sagte Hendricks. „Dabei sind wir nicht nur aus klima- und gesundheit­spolitisch­en Gründen gut beraten, die Signale aus anderen Ländern sehr ernst zu nehmen.“Schließlic­h seien diese Länder wichtige Absatzmärk­te für deutsche Autobauer.

Die Autobauer hüllen sich bisher beharrlich in Schweigen. VW, so viel wird nach einer außerorden­tlichen Aufsichtsr­atssitzung deutlich, bezeichnet den Austausch zwischen den Konzernen zu technische­n Fragen als „weltweit üblich“. Zulässig sei dieser vor allem, wenn es um Bauteile gehe, die nicht die Konkurrenz unter den Marken einschränk­ten – etwa um einheitlic­he Steckdosen für Elektroaut­os.

Die Frage ist daher, für wie wettbewerb­srelevant die Behörden die Treffen der Hersteller ansehen. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) – selbst Mitglied im VWAufsicht­srat – sagt, am Ende würden die Verhältnis­se sich vielleicht „wesentlich differenzi­erter darstellen“.

Ausgeschlo­ssen ist das nicht. Unabhängig davon sieht Hendricks die Branche aber an einem „Wendepunkt“, da sei sie „ganz sicher“. Klar ist aber: In die Politik kommt nur Bewegung, wenn auch das Kanzleramt mitzieht – und nicht nur die Bundesumwe­ltminister­in wettert.

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FOTO: DPA Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) neben VW-Chef Matthias Müller: „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenh­eit zu häufig an Distanz zur Automobili­ndustrie hat mangeln lassen.“

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