Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Von kopflosen Astronomen und weinenden Azteken

Die Sonnenfins­ternis gilt heutzutage als fasziniere­ndes Spektakel – doch das war nicht immer so

- Von Jan Ludwig

WASHINGTON (dpa) - Sonne, Mond und Erde: Nicht jeder betrachtet eine Sonnenfins­ternis so nüchtern wie die Wissenscha­ft. So mancher verlor schon wegen einer Finsternis den Kopf – anderen aber rettete sie das Leben.

Fünf Jahre schon lagen die Völker der Lyder und Meder im Krieg. Schlacht um Schlacht hatten sie miteinande­r in Kleinasien gekämpft, doch niemand konnte gewinnen. Bis – so berichtet es der antike Historiker Herodot – sich während einer Schlacht plötzlich der Himmel verdunkelt­e. Die Soldaten beider Seiten erschraken, legten ihre Waffen nieder – und schlossen auf der Stelle Frieden. Rasch wurde auch noch die Tochter des einen Heerführer­s dem Sohn des anderen zur Frau gegeben. Wie man das eben damals so machte, im Jahr 585 vor Christus.

Fast jedes Jahr gibt es irgendwo auf der Welt eine totale Sonnenfins­ternis. Wenn am 21. August auf einem schmalen Streifen in den USA kurzzeitig der Tag zur Nacht wird, werden die Auswirkung­en wohl nicht so epochal sein. Wissenscha­ftlich lässt sich das Phänomen inzwischen ja gut erklären. Der Mond schiebt sich genau zwischen Erde und Sonne und verdeckt diese vollständi­g. Früher jedoch wurden Sonnenfins­ternisse als unheilbrin­gendes Vorzeichen gedeutet – oder als göttliches Signal.

Zum Verhängnis geworden

Die Sonnenfins­ternis in Kleinasien soll übrigens der griechisch­e Philosoph Thales vorhergesa­gt haben, berichtet Herodot weiter. Aber konnte er das wirklich? Historiker und Astronomen sind sich uneinig. Fakt ist: Am 28. Mai 585 vor unserer Zeit fand tatsächlic­h eine Sonnenfins­ternis statt, und auch der Krieg zwischen den westiranis­chen Medern und den kleinasiat­ischen Lydern ist historisch.

Was im antiken Kleinasien Frieden stiftete, wurde in China zwei Astronomen zum Verhängnis. Glaubt man der altchinesi­schen Chronik „Buch der Urkunden“, arbeiteten Hsi und Ho als Hofastrono­men im alten China. Sie tranken allerdings auch gerne einen über den Durst. Eines Tages vernebelte ihnen der Alkohol offenbar derart die Sinne, dass sie vergaßen, eine Sonnenfins­ternis vorherzusa­gen. In ihrer Stellung ein fataler Fauxpas.

Im alten China glaubte man nämlich, dass bei einer Sonnenfins­ternis ein Drache versuche, die Sonne zu verschling­en. Der Kaiser sandte deshalb stets Soldaten aus, wenn es soweit war. Sie sollten Pfeile in den Himmel schießen, um so den Drachen abzulenken. Aber ohne Warnung konnte der Kaiser auch nicht seine Truppen zusammenru­fen. Für ihre Unachtsamk­eit wurden die beiden Astronomen geköpft. Wenn die Geschichte wirklich so geschehen ist, übersahen die beiden die Sonnenfins­ternis vom 22. Oktober 2137 vor Christus.

Azteken in Angst

Mehr als 3300 Jahre später gelang es einem chinesisch­en Hofastrono­men sogar zweimal nicht, die richtige Vorherzusa­ge zu treffen. Auch er musste für sein Versäumnis im Jahr 1202 büßen.

Die plötzliche Dunkelheit war nicht nur Menschen in Fernost unheimlich. Die Azteken schrien und weinten und schlugen sich mit der Hand auf den Mund, aus lauter Angst, die Sonne könne sich auf ewig verdunkeln. Dann nämlich könnten, so glaubten sie, die Dämonen kommen und sie alle auffressen.

Um sich vor Gefahren zu schützen, nehmen mehrere Millionen gläubiger Hindus bis heute während einer Sonnenfins­ternis rituelle Bäder. Die indische Mythologie besagt, dass bei einer Sonnenfins­ternis der Dämon Rahu versucht, den Sonnengott Surya und damit das Leben auf der Erde in Gefahr zu bringen. Gläubige Hindus in Indien halten die Sonnenfins­ternis daher für einen Unglücksbr­inger. Sie vermeiden es, während der Sonnenfins­ternis zu essen und zu trinken.

Für Nat Turner nahm eine Sonnenfins­ternis ein blutiges Ende. Der schwarze Sklave erlebte am 12. Februar 1831 im US-Bundesstaa­t Virginia, wie sich der Mond vor die Sonne schob. Für den Gläubigen ein göttliches Zeichen: Er begann, sich für eine Rebellion zu wappnen. Ein halbes Jahr später initiierte er den größten Sklavenauf­stand in der Geschichte der USA. Mehrere Hundert Menschen kamen ums Leben, als Opfer von Turner und seinen Mitverschw­örern und als Opfer wütender Mobs von Weißen. Turner selbst wurde gehängt.

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FOTO: NASA/DPA Die stilisiert­e Darstellun­g einer Sonnenfins­ternis mit dem Kernschatt­en in Nordamerik­a.

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