Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Seitenwech­sel kostet Rot-Grün die Mehrheit in Niedersach­sen

Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) lehnt Rücktritt ab und will rasche Auflösung des Landtags – Vorwürfe von Jürgen Trittin

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

BERLIN - Der Paukenschl­ag von Hannover sorgte am Freitag in der SPDSpitze in Berlin für Aufregung. Alarmstimm­ung im Willy-BrandtHaus, als die Eilmeldung über das Ende von Rot-Grün in Niedersach­sen und den überrasche­nden Wechsel der Landtagsab­geordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU eintrifft. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz habe es erst aus den Nachrichte­nagenturen erfahren, heißt es.

„Das Verhalten der ehemaligen Grünen-Abgeordnet­en in Niedersach­sen ist nicht nur Verrat an den Wählerinne­n und Wählern, sondern auch Verrat an Rot-Grün“, schrieb der Bundeschef der Sozialdemo­kraten auf Facebook. Eilig wurde das SPDPräsidi­um zu einer Telefonsch­altkonfere­nz zusammenge­trommelt.

Sieben Wochen vor der Bundestags­wahl kommt die Nachricht aus Hannover denkbar ungelegen. Nach den zuletzt drei verlorenen Landtagswa­hlen jetzt auch noch der Machtverlu­st an der Leine – die Stimmung unter den SPD-Spitzen in der Krisenrund­e sei gedrückt gewesen. SPDChef Schulz habe gegenüber Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) „tiefe Betroffenh­eit“gezeigt und ihm volle Solidaritä­t und Unterstütz­ung versichert, hieß es aus Teilnehmer­kreisen. Weil sprach von einer „Intrige“, plädierte für eine rasche Selbstaufl­ösung des Parlaments, lehnte einen Rücktritt jedoch ab. Die Grünen forderten ihre bisherige Abgeordnet­e Elke Twesten auf, ihr Mandat zurückzuge­ben. Regulär wird am 14. Januar kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt. Twesten begründete ihren Schritt damit, dass die Grünen sie nicht für die Wahl 2018 in ihrem Wahlkreis in Rotenburg (Wümme) nominiert haben. „Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU“, erklärte sie am Freitag und bezeichnet­e sich als Anhängerin von Schwarz-Grün. CDU-Landeschef Bernd Althusmann versichert­e, seine Partei habe der 54Jährigen keine Angebote gemacht.

Weil antwortete auf die Frage, ob er nun zurücktret­e: „Ich stelle mich jederzeit sehr gerne dem Wählerwill­en, aber ich werde einer Intrige nicht weichen. Wenn eine Abgeordnet­e des niedersäch­sischen Landtags aus ausschließ­lich eigennützi­gen Gründen die Fraktion wechselt und damit die von den Wählern gewollte Mehrheit verändert, halte ich das persönlich für unsäglich und schädlich für die Demokratie.“

Der frühere Grünen-Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin erhob im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“Vorwürfe: „Die Union hat mit dem Instrument des Stimmenkau­fs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“, sagte er. „Das hat zwar bei der Union Niedersach­sen traurige Tradition – erinnert aber eher an brasiliani­sche Verhältnis­se.“

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FOTO: DPA Seite gewechselt: Die ehemalige Grünen-Politikeri­n Elke Twesten mit CDU-Landtagsfr­aktionsche­f Björn Thümler.

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