Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ein Seitenwechsel kostet Rot-Grün die Mehrheit in Niedersachsen
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lehnt Rücktritt ab und will rasche Auflösung des Landtags – Vorwürfe von Jürgen Trittin
BERLIN - Der Paukenschlag von Hannover sorgte am Freitag in der SPDSpitze in Berlin für Aufregung. Alarmstimmung im Willy-BrandtHaus, als die Eilmeldung über das Ende von Rot-Grün in Niedersachsen und den überraschenden Wechsel der Landtagsabgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU eintrifft. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz habe es erst aus den Nachrichtenagenturen erfahren, heißt es.
„Das Verhalten der ehemaligen Grünen-Abgeordneten in Niedersachsen ist nicht nur Verrat an den Wählerinnen und Wählern, sondern auch Verrat an Rot-Grün“, schrieb der Bundeschef der Sozialdemokraten auf Facebook. Eilig wurde das SPDPräsidium zu einer Telefonschaltkonferenz zusammengetrommelt.
Sieben Wochen vor der Bundestagswahl kommt die Nachricht aus Hannover denkbar ungelegen. Nach den zuletzt drei verlorenen Landtagswahlen jetzt auch noch der Machtverlust an der Leine – die Stimmung unter den SPD-Spitzen in der Krisenrunde sei gedrückt gewesen. SPDChef Schulz habe gegenüber Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) „tiefe Betroffenheit“gezeigt und ihm volle Solidarität und Unterstützung versichert, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Weil sprach von einer „Intrige“, plädierte für eine rasche Selbstauflösung des Parlaments, lehnte einen Rücktritt jedoch ab. Die Grünen forderten ihre bisherige Abgeordnete Elke Twesten auf, ihr Mandat zurückzugeben. Regulär wird am 14. Januar kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt. Twesten begründete ihren Schritt damit, dass die Grünen sie nicht für die Wahl 2018 in ihrem Wahlkreis in Rotenburg (Wümme) nominiert haben. „Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU“, erklärte sie am Freitag und bezeichnete sich als Anhängerin von Schwarz-Grün. CDU-Landeschef Bernd Althusmann versicherte, seine Partei habe der 54Jährigen keine Angebote gemacht.
Weil antwortete auf die Frage, ob er nun zurücktrete: „Ich stelle mich jederzeit sehr gerne dem Wählerwillen, aber ich werde einer Intrige nicht weichen. Wenn eine Abgeordnete des niedersächsischen Landtags aus ausschließlich eigennützigen Gründen die Fraktion wechselt und damit die von den Wählern gewollte Mehrheit verändert, halte ich das persönlich für unsäglich und schädlich für die Demokratie.“
Der frühere Grünen-Bundesumweltminister Jürgen Trittin erhob im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“Vorwürfe: „Die Union hat mit dem Instrument des Stimmenkaufs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“, sagte er. „Das hat zwar bei der Union Niedersachsen traurige Tradition – erinnert aber eher an brasilianische Verhältnisse.“