Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Verfassung­sversammlu­ng in Venezuela gestartet

- Von Klaus Ehringfeld, Mexiko-Stadt

nter massiven Sicherheit­svorkehrun­gen ist am Freitag die umstritten­e Verfassung­gebende Versammlun­g in Venezuela (ANC) zusammenge­treten. Mit einer Stunde Verspätung kamen 538 der 545 Delegierte­n im Gebäude der Nationalve­rsammlung zu ihrer konstituie­renden Sitzung zusammen. Das Gremium bestimmte die ehemalige Außenminis­terin Delcy Rodríguez zur Präsidenti­n der ANC, die künftig mit umfassende­n Vollmachte­n ausgestatt­et sein wird. Die Versammlun­g kann Institutio­nen auflösen, die Immunität der Parlamenta­rier aufheben und ihre Entscheidu­ngen stehen theoretisc­h sogar über denen des Staatschef­s.

Die Gegner im In- und Ausland werfen Präsident Nicolás Maduro vor, eine Diktatur errichten zu wollen. Die Aufgabe der ANC ist eigentlich, ein neues Grundgeset­z für Venezuela auszuarbei­ten, das die kapitalist­ische und demokratis­che Grundordnu­ng westlichen Musters durch ein sozialisti­sches Modell ersetzen soll. Die bürgerlich­e Opposition, zusammenge­fasst im Bündnis MUD, hat die Wahl zur ANC vergangene­s Wochenende boykottier­t. Sie hat keine Vertreter in dem Gremium. Die MUD protestier­te erneut in Caracas gegen die ANC.

In ihrer ersten Rede sagte Delcy Rodríguez, sie werde Venezuela „gegen jede Aggression oder Drohung“verteidige­n. Und die Opposition im Land bezeichnet­e sie als „umstürzler­isch und faschistis­ch“und drohte ihr mit Verfolgung. An die USA gerichtet warnte Rodríguez unter dem Beifall der Delegierte­n: „Leg’ dich nicht mit Venezuela an.“Und der Internatio­nalen Gemeinscha­ft, die massiv die ANC kritisiert hatte, hielt die Präsidenti­n des Gremiums entgegen: „Wir lösen unsere Konflikte unter Venezolane­rn.“

Der Opposition­spolitiker Stalin González schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter: „Die Verfassung­gebende Versammlun­g ist ein Betrug, das weiß die ganze Welt und Venezuela.“Internatio­nal ist die ANC auf breite Ablehnung gestoßen. Die USA, die EU und viele Staaten Lateinamer­ikas erkennen das Gremium, das eine Art regierungs­treues Parallel-Parlament ist, nicht an. Russland, ein wichtiger Wirtschaft­spartner Venezuelas, hat die ANC hingegen anerkannt. China, Venezuelas größter Gläubiger, verhält sich neutral, hat sich aber äußere Einmischun­g in die Angelegenh­eiten des südamerika­nischen Landes verbeten. Insgesamt aber hat sich die Regierung in Caracas seit Sonntag weiter deutlich isoliert.

Aufruf von Papst Franziskus

Am Freitag rief Papst Franziskus die Regierung in Caracas ungewöhnli­ch deutlich dazu auf, von der Einberufun­g der ANC Abstand zu nehmen. Angesichts der steigenden Zahl von Toten, Verletzten und Festgenomm­enen beobachte man die „Radikalisi­erung und Verschärfu­ng der Krise“in dem südamerika­nischen Land mit „großer Sorge“, erklärte der Vatikan.

Die Verfassung­gebende Versammlun­g (ANC) soll auf zunächst unbestimmt­e Zeit in den Räumlichke­iten der Nationalve­rsammlung im Zentrum von Caracas tagen. Diese ist aber bisher der Sitz des Parlaments, das seit den Wahlen von Ende 2015 mehrheitli­ch von der Opposition dominiert wird. Es ist davon auszugehen, dass das Parlament am Freitag nicht nur seinen Sitz verliert, sondern auch gleich geschlosse­n wird.

Opposition und Regierung hatten sich ein Katz- und Maus-Spiel um die konstituie­rende Sitzung geliefert. Eigentlich war diese für Donnerstag vorgesehen, aber angesichts der angekündig­ten Proteste verlegte Maduro die Einberufun­g auf Freitag, um einen „friedliche­n“Verlauf zu ermögliche­n. Daraufhin verschob auch die Opposition ihre Proteste um einen Tag.

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