Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Verwandlungszauber am Bodensee
Jubiläumsausstellung zum 100. Geburtstag des Regisseurs Wieland Wagner in Bayreuth
BAYREUTH - „Wieland Wagner (1917-1966) war einer der größten Reformer der Opernbühne im 20. Jahrhundert.“Mit diesem wuchtigen Satz würdigt die Ausstellung des Richard Wagner Museums in Bayreuth den Regisseur und Festspielleiter. Sie ist mit leichter Hand inszeniert und führt mit fahnenartigen Grossporträts der Mitglieder des Familienclans über die „Wegmarken“zum „Werk“des Wagner-Enkels. Das besteht darin, die Opern Richard Wagners für die Nachkriegszeit in einem neuen Gewand präsentiert zu haben: „Neu-Bayreuth“heißt der Stil, der Schule machte.
Neu-Bayreuth und Werkstatt
Ein Begriff, der Wieland selbst zu statuarisch war. Sein Kunstverständnis zielte auf die permanente Weiterentwicklung, auf die „Werkstatt Bayreuth“.
Am Kopf der Ausstellung ist eine Bühne aufgebaut, auf deren Projektionsflächen Filmszenen aus Wielands Inszenierungen flimmern: Beispiele für die „theaterästhetische Revolution“seines abstrakten Monumentalstils, in dem Licht und Farbe eine aufgeräumte Bühne dominieren.
Wie neu und wegweisend dieses Neu-Bayreuth auf die Zeitgenossen wirken konnte, davon erzählte Sir Peters Jonas, 1993 bis 2006 Intendant der Bayerischen Staatsoper, kürzlich bei seiner Festansprache. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst Wieland Wagners lag darin, einen Neubeginn und einen Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu behaupten. Der Philosoph Ernst Bloch, der auf dieser Bühne auch zu Wort kommt, sprach von „einer Flucht ins Ungefähre“.
Die Ausstellung wagt den Titel: „Wieland Wagner – Tradition und Revolution“. Umgesetzt werden diese Pole in unterschiedlichem Ausmaß. Wieland wird im „Prolog“im Familienkreis festgezurrt, aus dem die Traditionsverpflichtungen kamen. Als Beispiel für eine Anregung von außen wird der Bühnenbildner Alfred Roller angeführt, den Gustav Mahler 1903 an die Wiener Staatsoper geholt hatte. Hitler hat Roller sehr verehrt und 1934 für die Neuinszenierung des „Parsifal“nach Bayreuth gebracht. Dort schulte er auch Wieland.
Das Neue entstand aus der Sicht der Wagner-Selbstbespiegelung, wie sie die Ausstellung inszeniert, aus sich selbst heraus. Neu-Bayreuth ist, glaubt man den Texten in der Ausstellung, die Folge einer Luftveränderung: „Im Rückzugsort der Familie in Nussdorf am Bodensee vollzog sich – fast unbemerkt – die Neugeburt des Künstlers Wieland Wagner aus dem Geist der ästhetischen Moderne, der Antike und der Psychoanalyse.“
Dazu gibt es ein Bild Siegfried Lauterwassers: Wieland mit Mütze im Garten in Nussdorf. Der Überlinger Fotograf (1913-2000) war seit 1934 mit Wieland befreundet. Das Nachkriegszeit-Bayreuth verdankt ihm einen guten Teil seiner Popularität. Denn die Bilder, die Lauterwasser von Wielands Produktionen machte, haben „Neu-Bayreuth“über den Besucherkreis der Festspiele hinaus bekannt gemacht. Repräsentiert sind Lauterwassers Fotos aus Bayreuth – er war dort 1952 bis 1987 der Bühnenfotograf – in der Ausstellung nicht.
Und schon gar nicht repräsentiert ist der Lehrer Albrecht Bald, der über einen Umweg eine Traditionslinie Wieland Wagners erschlossen hat. Er hat die Geschichte des Lagers Bayreuth aufgearbeitet, ein Außenlager des fränkischen KZ Flossenbürg bei Weiden in der Oberpfalz. Wieland Wagner, von Hitler als künftiger Opernchef auserkoren und dafür vom Kriegsdienst freigestellt, arbeitete im Lager Bayreuth an seinen Projekten: Ihm standen hier Mitarbeiter für seine Bühnenentwürfe zur Verfügung.
Die Errichtung dieses Lagers ist mit der Familie Wagner verbunden. Eingerichtet wurde es auf Betreiben von Bodo Lafferentz, Wielands Schwager, ein Multifunktionär im NS-Staat. Im Rang eines SS-Obersturmbannführers war er Hauptabteilungsleiter der Kraft-durch-Freude-Organisation. Sie unterstützte die Festspiele in den Jahren des Nationalsozialismus, als das internationale Publikum weggebrochen war.
Lafferentz war unter anderem auch Leiter von Forschungseinrichtungen, die neue Waffen entwickeln sollten. In Bayreuth ging es um die Zielerfassung für eine „sehende Bombe“. Dementsprechend waren die 60 Gefangenen vorgebildet und ausgesucht, wurden besser behandelt als anderswo und trugen Zivilkleidung. Juden waren nicht darunter.
Das fatale Schweigen
Diese Geschichte ist seit 2003 bekannt (Albrecht Bald, Jörg Skriebeleit: Das Außenlager Bayreuth). Sie rückt den Nachkriegsaufenthalt der Wagners in Nussdorf, wo sich die „unbemerkte Neugeburt“von NeuBayreuth vollziehen sollte, in ein ergänzendes Licht. In der Ausstellung werden Bilder der zerstörten Wagner-Villa in Bayreuth gezeigt, um die Reise in den Süden zu begründen. Sie erfolgte, bevor das Lager im April 1945 aufgelöst wurde. Nussdorf lag in der französischen Zone, man konnte hier dem Entnazifizierungsverfahren der Amerikaner entgehen. Eine weitergehende Flucht in die Schweiz, für die Lafferentz ein Boot organisiert und zur weiteren Finanzierung Manuskripte Richard Wagners mitgeführt hatte, scheiterte. Die Schweiz schickte die Wagners zurück. In einem Spruchkammerverfahren wurde Wieland Wagner als „Mitläufer“eingestuft und zu einer Sühne von 100 Mark verurteilt. Über das Lager hatte er geschwiegen, sein Leben lang.