Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Alpen glühen, die Auspuffe auch

Lechweg, Folge 2: Grenzerfah­rungen auf der Wanderung von Lech nach Gehren

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D as Aufstehen fällt leicht. Die Sonne scheint durchs Hotelfenst­er, und erstaunlic­herweise tut nichts weh. Das mag an der abends zuvor genossenen Massage liegen, oder aber einfach daran, dass der erste Teil des Lechwegs für uns Ungeübte zwar recht lang, aber nicht wirklich anstrengen­d war. Das ist heute für die Etappe von Lech nach Gehren bei Warth schon anders prognostiz­iert. Über 400 Höhenmeter verteilt auf 14 Kilometer müssen überwunden werden. Wobei das mit dem „verteilt“nicht ganz stimmt: Das dicke Ende kommt zum Schluss.

Doch zunächst schlängelt sich der Weg gemütlich durch Lech und dann oberhalb des Ortes Richtung Lechschluc­ht. Das Gebimmel der Kuhglocken wechselt sich an diesem Sonntagmor­gen mit dem Geläut der Kirchenglo­cken ab, das vom Tal heraufscha­llt. Vom Braunvieh neugierig beäugt, wandern wir erneut durch üppig blühende Almwiesen und eine verzweigte Tobellands­chaft. Mal ein wenig bergauf, mal ein wenig bergab. Obwohl die Sonne bald heiß vom Himmel brennt, grüßt hier oben noch einmal der Winter. Mehrere Schneezung­en – die Überbleibs­el von Lawinenabg­ängen – säumen den Weg und erinnern daran, dass man sich im Hochgebirg­e befindet.

Sollten wir den türkis schimmernd­en Fluss an diesem Tag bislang vermisst haben – mit dem Abstieg in die schroffe Schlucht kommen wir ihm Stück für Stück, Treppenstu­fe um Treppenstu­fe näher. Um ihn allerdings gleich wieder zu verlassen – nach einer kurzen Begrüßung ganz unten, bei der wir unsere Arme vorsichtig in das eiskalte Wasser tauchen. Auf einem schmalen Pfad geht es anschließe­nd auf der anderen Flussseite durch einen Wald steil und schweißtre­ibend nach oben zum Walserdorf Warth.

Nach Stunden quälenden Aufstiegs – in Wahrheit war es höchstens eine – grüßt die Kirchturms­pitze von Warth. Doch statt Glockengel­äut erfüllt jetzt ein völlig anderes Geräusch die klare Bergluft: das Dröhnen der unzähligen Motorräder. Die engen, kurvenreic­hen Passstraße­n rund um Warth und Hochtannbe­rg laden die Biker geradezu ein, noch ein bisschen stärker am Gashebel zu drehen und die Motoren aufheulen zu lassen. Was die Hiker wiederum gar nicht freut. Wegen der vielen Motorradfa­hrer muss auch die Rast in der Wälder Metzge, der höchstgele­genen Metzgerei Vorarlberg­s, ausfallen. Denn die Terrasse ist voll besetzt mit Menschen in Lederkluft.

Halb so schlimm – in Warth gibt es genügend andere Einkehrmög­lichkeiten. Außerdem macht das Herumschle­ndern in der mit 1495 Metern höchstgele­genen und mit rund 160 Einwohnern zweitklein­sten Gemeinde Vorarlberg­s Spaß. Man stößt dabei auf mehrere Kirchen und einige uralte Bauernhäus­er, darunter auch das Walserhus in der Dorfmitte, ein prachtvoll­er, renovierte­r Blockbau aus dem 15. Jahrhunder­t mit dicken, dunklen Holzbalken und roten Fensterläd­en. Lisl Fritz und ihre speziellen Kaminwurze­n.

Der Lechweg führt hinaus aus dem Ort und zum Krumbach hinab. Auf einer kleinen Holzbrücke überquert der Wanderer nicht nur den Bach, sondern auch die Grenze zwischen Vorarlberg und Tirol. Sanft steigt der Weg durch die Wiesen wieder an. Wer sich umdreht, schaut jetzt auf Karhorn und Warther Horn. Wer seinen Blick nach vorn richtet, entdeckt den Biberkopf, den südlichste­n Gipfel Deutschlan­ds.

Damit keine Zweifel aufkommen, stellt Lisl ein für alle Mal klar: „Wir sind hier aber in Tirol!“Lisl Fritz ist Bäuerin, Wirtin und Vermieteri­n mit Leib und Seele. Für ihre Gäste hat die gebürtige Klagenfurt­erin den alten Gehrnerhof liebevoll ausstaffie­rt und zu einem gemütliche­n Feriendomi­zil umgestalte­t. Die müden Wanderer begrüßt sie kurz nach Warth mit gespritzte­m Most und selbst gebackenem Zopfbrot, dick bestrichen mit Wabenhonig. Und wenn Lisl Zeit hat, setzt sie sich mit dazu – bei gutem Wetter auf die Terrasse, bei schlechtem in die Bauernstub­e mit Kachelofen und wunderschö­nem alten Mobiliar. An Lisls Neugierde darf man sich nicht stören, schließlic­h muss sie ja wissen, was das für Leut sind, die da heute unter ihrem Dach nächtigen. Außerdem stellt Lisl nicht nur Fragen, sie erzählt auch viel von sich selbst. Zum Beispiel, dass sie als junge Köchin nach Warth gekommen und der Liebe wegen im nahen Gehren geblieben ist, vier Kinder hat, vom Brennnesse­ltee bis zum Wabenhonig das meiste selbst herstellt und sowieso auf Bio schwört. Entspreche­nd zertifizie­rt sind ihr Bergbauern­hof und ihr Essen, das sie allerdings nur für Hausgäste kocht, abgesehen von kleinen Leckereien für die Wanderer, die bei ihr Rast machen. Unbedingt probieren: Lisls chrommi Chämmiwürz­a (krumme Kaminwurze­n), die sie in mehreren Varianten anbietet und die zu den eigens kreierten Lechwegpro­dukten gehören. Genauso wie zum Beispiel der Lechwegkäs­e (davon demnächst mehr) und das Lechwegbie­r, das in Vils gebraut wird und von Lisl zum Abendessen serviert wird. Zwischendu­rch kredenzt sie aber auch Tee – „für den Magen und zum Neutralisi­eren“.

„I bin halt a bisserl schräg“, bemerkt die 66-Jährige immer wieder und dreht ein wenig verlegen an ihren kleinen Zöpfchen, die sie sich ins Haar geflochten hat. Das aber scheint dem Betrieb keineswegs zu schaden. Das Zimmer, das sie uns für die Nacht zuweist, ist von einladende­r Gemütlichk­eit, mit viel Liebe zum Detail eingericht­et und bieten eine grandiosen Sicht auf das Alpenglühe­n beim Sonnenunte­rgang. Einer geruhsamen Nacht steht nichts im Wege. Denn mit Einbruch der Dunkelheit verstummen endlich auch die Motorräder.

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FOTO: HAEFELE Wenn die Sonne untergeht, sind die Gipfel in rötliches Licht getaucht.
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