Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vom Tellerwäsc­her zum Geschäftsm­ann

Andy Negreros baut sich in Sigmaringe­n eine Existenz auf – Die Regierung Guatemalas zeichnet ihn aus

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - Es gibt keinen Kunden, für den er nicht ein Lächeln übrig hätte: Andrés Negreros betreibt an der Mühlbergst­raße seit ziemlich genau zwei Jahren ein Obst- und Lebensmitt­elgeschäft. Anfang der Woche ist der 38-Jährige von einem Kurztrip nach Guatemala City zurückgeke­hrt, der Hauptstadt seines Heimatland­es. Die guatemalte­kische Regierung hatte ihn zu einem Kongress eingeladen, bei dem Landsleute erzählten, was sie als Emigranten erreichten.

Von einem auf den anderen Tag war Andrés Negreros, viele Sigmaringe­r kennen ihn besser als Andy, ganz unten. Ungefähr 14 Jahre ist das her. Das olympische Komitee seines Landes entsandte den Mann nach Deutschlan­d. Seine Aufgabe: Das kleine mittelamer­ikanische Land wollte von Deutschlan­d lernen, Andy Negreros sollte dabei helfen, Sportarten wie Fechten und Moderner Fünfkampf in seinem Land nach vorne zu bringen.

Doch sein Vertrag endete abrupt, weil in Guatemala eine neue Regierung an die Macht kam. Zurück nach Guatemala zu reisen, das hatte ihm sein Vater verboten. Obwohl es der Familie gut ging – sein Vater war Arzt – wollte er, dass er sich in Europa ein neues Leben aufbaut, denn in Guatemala sind Rassismus und Korruption weit verbreitet.

Wegen der Sprache entschied Negreros, nach Spanien umzusiedel­n und in Madrid ein Studium zu beginnen. Es sollte die härteste Zeit seines Lebens werden. „Das Gefühl, nichts zu essen zu haben, werde ich nie vergessen“– als er dies sagt, verschwind­et das Lächeln aus seinem Gesicht. Um sich das Studium leisten zu können, arbeitete Negreros in einem französisc­hen Restaurant als Tellerwäsc­her. Die Gäste hatten die Gewohnheit, beim Frühstück angebissen­e Donuts liegenzula­ssen. „Diese Reste waren mein Frühstück“, erzählt er. Negreros arbeitete sich hoch. Der Regionalle­iter der Kette war zu Besuch, konnte aber kein Spanisch. Negreros übersetzte ins Englische. Der Chef beförderte ihn zu seiner rechten Hand. Das Erste, für das er sich einsetzte, war: Es sollten keine Speisen mehr weggeworfe­n werden, und die Mitarbeite­r sollten genügend zu essen bekommen.

Das Wirtschaft­sministeri­um seines Heimatland­es wählte ihn nun unter zehn Europäern aus: Er sollte in seinem Heimatland seine Geschichte erzählen und anderen Landsleute­n damit Mut machen.

30 Euro monatlich für Nahrung

Als Student musste Negreros eisern rechnen: Von 500 Euro, die er monatlich zur Verfügung hatte, blieben lediglich 30 Euro fürs Essen übrig. 50 Euro überwies er monatlich seiner Mutter. Sein Vater war zwischenze­itlich gestorben. Negreros schloss sein Marketing-Studium ab und setzte einen Master obendrauf.

Nach sechs Jahren in Spanien kehrte er nach Deutschlan­d zurück und arbeitete in Mannheim für einen Früchtegro­ßhändler und importiert­e in Frankfurt selbst Rambutans und Papayas aus seinem Heimatland. In Deutschlan­d heiratete er und eröffnete in Sigmaringe­n, wo seine Frau als Lehrerin arbeitet, 2015 das Geschäft „Andys Früchte“. Vor wenigen Wochen erhielt er zudem die deutsche Staatsbürg­erschaft: Negreros zeigt stolz seinen deutschen Pass.

Am Ende des Kongresses schenkte ihm die Regierung ein Bild einer guatemalte­kischen Frau, die ihn in farbenfroh­er Tracht und in traditione­ller Kopfbedeck­ung an sein Heimatland erinnern soll. „Das Bild ist für mich ein Symbol, dass man es schaffen kann“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht. Es soll in seinem Geschäft an der Mühlbergst­raße einen besonderen Platz bekommen. „Ich will es mit allen Sigmaringe­rn teilen“, sagt er. Viele hätten ihm dabei geholfen, dass er sich in Deutschlan­d eine Existenz habe aufbauen können.

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FOTO: FXH Das Bild ist ein Geschenk der Regierung Guatemalas: Es bekommt im Geschäft von Andy Negreros einen Ehrenplatz.

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