Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Altersarmu­t gibt es auch in Ravensburg

Die 65-jährige Edeltraut Fassnacht hat kein Geld für Butter – Hilfe kam über die Diakonie

- Von Jasmin Bühler

RAVENSBURG - Einen Eimer voll Farbe und einen Pinsel kann sich Edeltraut Fassnacht nicht leisten. Zu teuer. Und hätte es nicht helfende Hände gegeben, säße die 65-jährige Ravensburg­erin noch immer in ihrer vergilbten Küche. Fassnacht gehört zu den Senioren, die in Altersarmu­t leben – und davon gibt es in Ravensburg nicht wenige.

Bei dem Diakonisch­en Werk Ravensburg sind die Klientenza­hlen in diesem Jahr rapide gestiegen. Anfang August zählte die Diakonie in allen Kirchenbez­irken zusammen 450 Beratungen. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr lag die Zahl bei 600 Beratungen. Bei etwa zehn bis 15 Prozent der Fälle handelt es sich um Altersarmu­t.

Edeltraut Fassnacht, die in Wahrheit anders heißt, leidet an einer schweren Form des Typ-1-Diabetes. Seit mehr als 60 Jahren schleppt die Ravensburg­erin die Krankheit durch ihr Leben. In ihrer frühen Kindheit hatte sie zudem eine Hirnhauten­tzündung. Komplikati­onen gab es, als sie vor 40 Jahren mit ihrer Tochter schwanger war. Die Zeit nach der Geburt war für Fassnacht eine Tortur. Ein Krankenhau­saufenthal­t folgte auf den nächsten. „Es gab Zeiten, da habe ich keine Luft mehr bekommen“, erklärt sie.

Nervlich ist sie extrem angeschlag­en

Wirklich auf die Beine kam Fassnacht nicht mehr. Gesundheit­lich ist sie extrem angeschlag­en. Zwei Herzinfark­te hat sie hinter sich. Auch emotional hat sie schon bessere Zeiten erlebt. „Nervlich geht es mir gar nicht gut“, schildert sie. Vor zwei Jahren ist Fassnachts Mann gestorben. „Er war ein ganz lieber Mann, ein Schlawiner“, erinnert sich die 65Jährige mit einem Lächeln. Zu Lebzeiten ihres Mannes lief es finanziell auch noch besser. Jetzt bleiben Fassnacht eine kleine Rente, ihre Witwenrent­e und Wohngeld. Doch das reicht bei Weitem nicht. „Das Leben ist so teuer geworden“, meint die Seniorin. „Butter leiste ich mir schon gar nicht mehr.“Versicheru­ngen hat Fassnacht keine, nicht einmal eine Haftpflich­tversicher­ung. Auch ein Auto besitzt sie nicht. „Ich gehe selten aus dem Haus“, so die Seniorin.

Trotz allem wäre es Edeltraut Fassnacht nie in den Sinn gekommen, um Hilfe zu fragen. Zur Diakonisch­en Bezirksste­lle Ravensburg kam sie über Umwege. Ihre Tochter war letztlich der Anstoß, dorthin zu gehen. „Menschen wie Frau Fassnacht gibt es viele“, beschreibt Diakon Gerd Gunßer, „sie wollen im Alter niemandem zur Last fallen.“Stattdesse­n würden sie versuchen, so gut es geht zurechtzuk­ommen, so Gunßer. Um genau diese Menschen sichtbar zu machen und in den Fokus zu rücken, wird die kommende Vesperkirc­he 2018 auch das Motto „Altersarmu­t“haben.

Edeltraut Fassnacht bekam indes Unterstütz­ung. Im Juni hat ihr die SZ-Nothilfe einen neuen Kühlschran­k organisier­t. Der alte war kaputt gegangen – für die Diabetes-Patientin ein Desaster, denn das notwendige Insulin muss gekühlt werden. Seit Kurzem hat die 65-Jährige eine frisch renovierte Küche: spendiert vom Lions Club und gestrichen von der Liebenau Berufsbild­ungswerk gemeinnütz­igen GmbH. Ein Teil von Fassnachts Leben erstrahlt nun in neuem Glanz.

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FOTO: JASMIN BÜHLER Die 65 Jahre alte Edeltraut Fassnacht sitzt mit Diakon Gerd Gunßer in ihrer frisch renovierte­n Küche, die helfende Hände ihr gesponsort und gestrichen haben.

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