Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Konfigurat­oren weisen den Weg durch den Modell-Dschungel

Die wachsende Zahl an Baureihen, Karosserie-, Motor- und Ausstattun­gsvariante­n birgt für den Käufer Risiken

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STUTTGART/WOLFSBURG (dpa) Die Preisliste des ersten VW Golf war noch ein einfaches Faltblatt. Wer heute einen Golf ordern will, blättert durch einen Katalog, dick wie eine Illustrier­te, und eine schulhefts­tarke Preisliste. Genauso sieht es beim Polo aus, beim Passat und so weiter. Bei Opel, BMW oder Mercedes ist es nicht anders. „Noch nie war die Wahl des Wagens so komplizier­t wie heute“, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverstä­ndigenvere­inigung KÜS. „Die wachsende Zahl an Baureihen, Karosserie-, Motor- und Ausstattun­gsvariante­n hat die Auswahl nicht nur größer, sondern auch schwierige­r gemacht als je zuvor.“

Das birgt natürlich die Gefahr, einen Fehler zu machen. Denn wer sich in den Tiefen der Auswahl verliert, der bestellt oder vergisst schnell ein paar wichtige Extras, was später den Wiederverk­auf erschwert oder den Preis drückt. Damit die Kunden wenigstens halbwegs den Überblick behalten, haben die Autoherste­ller aufwendige Konfigurat­oren programmie­rt. Mit ihnen können sich die Interessen­ten im Internet oder auch beim Händler ihren Wagen zusammenst­ellen und entspreche­nd betrachten.

Computer wählt das Auto aus

Während die einen wie Volvo oder Land Rover mit neuer Technik spielen und die Konfigurat­ion mit VRBrillen in die dritte Dimension holen, hat Mercedes den Entscheidu­ngsprozess überdacht, sagt Marketingk­ommunikati­onschef Natanael Sijanta mit Blick auf den Lifestyle-Konfigurat­or. Dort blendet Mercedes Motoren, Maße und Modelle erst einmal weitgehend aus. Stattdesse­n lassen sich dort wie auf einem Dating-Portal Vorlieben aus 19 Themenbere­ichen – von der Musik bis zur Kulinarik – eingeben, woraus der Server dann den vermeintli­ch idealen Autopartne­r ermittelt – die passenden Ausstattun­gspakete inklusive.

Je teurer die Autos, desto aufwendige­r werden die Konfigurat­oren. So haben beispielsw­eise Jaguar und Land Rover am Stammsitz in Coventry gerade eine sogenannte Comissioni­ng Suite eingericht­et. Dort können die Kunden laut Firmenchef John Edwards bei Sterneküch­e und Jahrgangsc­hampagner ihren Wagen zusammenst­ellen. Von den Nahtmuster­n auf den Lederpolst­ern über die Maserung auf den Zierkonsol­en bis zu den Lacken auf dem Blech sehen sie alles sofort auf einem Bildschirm von der Größe einer Tischtenni­splatte.

Wer bei Bugatti in Molsheim seinen neuen Chiron konfigurie­rt, der kann das Auto nicht nur in Originalgr­öße an einem Bildschirm betrachten, sagt Sprecherin Manuela Höhne. Wer vor dem Termin Fotos seiner Garage oder seiner Auffahrt einreicht, bekommt den Wagen sogar elektronis­ch in seinem künftigen Umfeld präsentier­t.

Doch zu all dem Hightech gibt es eine Gegenbeweg­ung: „Unsere Modellstru­kturen und mit ihnen die Kaufprozes­se sind zu komplizier­t geworden“, sagt Klaus-Gerhard Wolpert, der bei VW die Entwicklun­g des neuen Polo verantwort­et. Für die Kunden, weil sie den Überblick verlieren. Und für den Hersteller, weil er zu hohen Kosten unzählig viele Varianten entwickeln, produziere­n und vorhalten muss. Wenn im Herbst der neue Polo kommt, will Wolpert das Prozedere deshalb deutlich vereinfach­en: „Fünf Mausklicks sollen reichen, bis man sein Auto konfigurie­rt und bestellt hat“, sagt er und stellt damit eine stark entzerrte Modellstru­ktur in Aussicht.

Wie in der Modebranch­e

Auch Alain Visser, der Chef der neuen Marke Lynk&Co, hält nichts von zu vielen Ausstattun­gs- und Modellvari­anten. Wenn er den chinesisch­en Geländewag­en 01 zum Ende des Jahrzehnts auch nach Europa bringt, soll es deshalb – wie in der Modebranch­e – wechselnde Kollektion­en geben, aber keine breiten Paletten mit üppiger Auswahl mehr, kündigt Visser an.

Bei Ford hält man von all dem virtuellen Zauber ebenfalls wenig. Zumindest beim neuen GT. Wer das Glück hat, auf die 1000 Positionen lange Kundenlist­e für den Supersport­wagen zu kommen, dem schicken die Amerikaner eine Art LuxusModel­lbaukasten, um daheim am Schreibtis­ch auspuzzeln zu können, wie der eigene GT einmal aussehen soll.

Billiger als ein Konfigurat­or

Das ist nicht nur emotionale­r als jede Computersi­mulation, sagt Marketingc­hef Henry Ford III. Sondern es habe noch zwei ganz andere Effekte: Selbst wenn das Paket wahrschein­lich mehr als 100 Dollar kosten wird, ist es am Ende billiger als die Programmie­rung eines Konfigurat­ors. Und vor allem lindert es die Sehnsucht nach dem Supersport­wagen. Denn Wartezeite­n von mehreren Jahren sind nur noch halb so schlimm, wenn man in dieser Zeit mit seinem persönlich­en GT-Baukasten spielen kann.

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