Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lieber möglichst nah am Arbeitspla­tz wohnen als jeden Tag pendeln?

- U.mendelin@schwaebisc­he.de d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

Pendeln ist das Grauen. Ich habe das zuletzt ein Dreivierte­ljahr lang mitgemacht. Täglich 45 Minuten zur Arbeit und wieder zurück, über Autobahn und Landstraße. Die Umstände waren vom ersten Tag an widrig: Es war Winter, im württember­gischen Allgäu lag der Schnee meterhoch, und am ersten leichten Hügel hinter der Ausfahrt Wangen-West hatte sich ein Laster quergestel­lt. Eineinhalb Stunden ging nichts vor und nichts zurück. Im Kopf rechnete ich mir aus, wie viel Lebenszeit ich künftig hinter dem Steuer verplemper­n würde, dauerbesch­allt von penetrant gut gelaunten Moderatore­n der Morningsho­w im Radio. Ich hatte noch nicht einmal einen Kaffee getrunken.

Ganz schlimm wird es, wenn abends daheim noch ein Termin droht. Genau dann nämlich, wenn der Elternaben­d oder die Grillfeier mit Freunden ansteht, wird sich der Verkehr noch stärker auf der Ausfallstr­aße stauen als sonst.

Ich weiß, die meisten Menschen pendeln nicht freiwillig. Sie wollen aber nicht umziehen. Und tun sie es doch, ist es womöglich der Partner, der den beschwerli­chen Weg auf sich nehmen muss.

Ich habe mir schnell eine Wohnung in der Stadt gesucht, in der ich arbeite. Mein Pendeln beschränkt sich jetzt auf zehn Minuten mit dem Fahrrad – ein Luxus.

Selbstvers­tändlich ist Pendeln das nackte Grauen – im Ruhrgebiet, wenn der arme Arbeitnehm­er täglich beispielsw­eise von Castrop-Rauxel nach Essen kriechen muss. Knapp 40 Kilometer zwar nur über die A 42, A 43 und A 40, vorbei an Weltmetrop­olen wie Herne und Bochum – und immer wieder gut für ätzende 70 Minuten Fahr- und vor allem Standzeit im Dauerstau. Lediglich akute Reisediarr­hoe im ICE mit defekten Toiletten ist geringfügi­g schlimmer.

Nun befinden wir uns aber dankenswer­terweise nicht im Pott, sondern im lieblichen Oberschwab­en. Deshalb lassen wir die Kirche im Dorf und holen das Auto aus der Garage, um die rund 50 Kilometer nach Ravensburg 35 Minuten lang zu genießen. Eine gemütliche Einstimmun­g auf den Arbeitstag, wenn die bezaubernd­e Landschaft am Fenster vorbeizieh­t und die gute Luft durchs geöffnete Dach strömt. Und ein ebenso entspannen­der Abschluss des Tages, wenn die Arbeit mit jedem zurückgele­gten Kilometer ein Stückchen mehr aus dem Gedächtnis schwindet. Was wir noch erwähnen müssen? Richtig, im Winter nutzen wir gern den real existieren­den öffentlich­en Nahverkehr, lesen ein wenig und erfreuen uns an einer Studie, die besagt, dass Pendler mit Bus und Bahn schlanker und gesünder sind. Umzug? Nein danke!

Lebenszeit wird hinter dem Steuer verplemper­t. Von Ulrich Mendelin Oberschwab­en ist doch nicht der Kohlenpott! Von Dirk Uhlenbruch

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