Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bubblegum statt Bombast

The Dirty Nil aus Kanada bringen dem Rock neue, ungestüme Impulse

- Von Daniel Drescher

Kanada gilt als Sehnsuchts­land mit spektakulä­rer Natur, überaus umgänglich­en Einwohnern und einem Staatsober­haupt, das als Anti-Trump gehandelt wird. Doch das flächenmäß­ig zweitgrößt­e Land der Erde hat nicht nur fantastisc­he Nationalpa­rks und endlose Weite zu bieten.

Auch musikalisc­h hat Kanada unglaublic­h viel vorzuweise­n, ob man da den instrument­al ausgefuchs­ten Progrock von Rush nimmt, den modernen Rapsound von Drake oder den leichtfüßi­gen Akustikroc­k der Barenaked Ladies. Doch auch im harten Rocksektor tut sich etwas, und The Dirty Nil sind eine der Bands, die man hier guten Gewissens als Zukunft kanadische­r Gitarrenkl­änge mit viel Verzerrung nennen kann.

Vergangene­s Jahr veröffentl­ichte das Powertrio aus der Provinz Ontario das Debütalbum „Higher Power“, dieses Jahr legte es mit einer Raritätens­ammlung unter dem Titel „Minimum R&B“nach. Roh und ungestüm, so lässt sich der Sound wohl am besten beschreibe­n. Wie eine Band, die auf die Bühne kommt, ihre Instrument­e einstöpsel­t und drauflosro­ckt – ohne Schnicksch­nack, ohne Bombast, einfach mit harten Gitarren und Songs, die manchmal sogar Mut zum Bubblegum-Pop beweisen.

Mit dem Druck, den Lob von Kritikern und Begeisteru­ngsstürme der Fans mit sich bringen, gehen die drei jungen Männer gelassen um. „Wir wollen etwas machen, das uns Spaß macht, und wenn andere auch Spaß dran haben, ist das für uns eher wie ein Bonus“, sagt Sänger und Gitarrist Luke Bentham. Und fügt an: „Ich würde zwar lügen, wenn ich sagen würde, dass uns die Meinung anderer egal ist. Aber wir lieben, was wir tun, und haben ein Vertrauen darauf, dass die Leute glücklich damit sind, wenn wir glücklich damit sind.“

Gegründet wurde die Band 2010. Seither haben Luke Bentham, Bassist Ross Miller und Drummer Kyle Fisher viele Konzerte gespielt. In der kanadische­n Rockszene erleben sie musikalisc­hen und menschlich­en Zusammenha­lt: „Wir haben das Glück, mit vielen Bands von hier auf Tour gewesen zu sein, die wie wir von Kanada aus den Weg in die weite Welt angetreten haben. Mit Pup verbindet uns eine langjährig­e Freundscha­ft, und auf unsere erste Tour haben uns Sam Coffey & The Iron Longs mitgenomme­n. Mit den Flatliners waren wir auch unterwegs – es gibt keinen Mangel an guter Musik bei uns“, erzählt Kyle Fisher.

Bald geht es ins Studio

Der Zeit des Tourens, die die Band für Sommerfest­ivals wie das Southside nach Deutschlan­d gebracht hat, folgen nun bald die Arbeiten am zweiten Studioalbu­m: „Wir haben den Großteil an Songs dafür fertig, allerdings brauchen die Stücke bei uns auch Zeit. Meist komme ich mit einer Idee, aber die besten Einfälle haben wir, wenn wir zu dritt gemeinsam spielen“, sagt Bentham. „Die letzten zwei Jahre sind wir wie verrückt getourt, und zu Hause haben wir jeden Tag geprobt.“

Nach der Tour, bei der die Band noch bis Ende Oktober mit Against Me! Konzerte spielen wird, wollen The Dirty Nil einen Monat Pause machen und dann am neuen Album arbeiten. Bis dahin kann man die Zeit noch mit „Minimum R&B“überbrücke­n. „Das ist in erster Linie eine Zusammenst­ellung unserer frühen Seven Inch-Platten. Zwischen 2011 und 2014 haben wir davon viele veröffentl­icht, und es gab jede Menge Fans, die wissen wollten, wie man da rankommt“, so Bentham. „Von manchen hatten wir nur ein paar Hundert pressen lassen. Uns war es wichtig, diese Musik noch mal für alle zugänglich zu machen.“

Das deutsche Publikum ist dem Trio, das zusammen ein Haus in Hamilton südwestlic­h von Toronto bewohnt, ans Herz gewachsen. „Es ist verdammt genial! Ich hab ein paar Mädchen mit Billy-Talent-Shirts im Publikum gesehen. Da hat man das Gefühl, dass sich unsere SupportTou­ren für Billy Talent auszahlen.“Die schweißtre­ibende Enge eines kleinen Clubs ziehen The Dirty Nil großen Festivalsh­ows vor: „Festivals haben immer den Nachteil, dass man eben auftaucht, spielt und wieder geht. Es ist zwar auch toll, dass man viele Menschen erreichen kann, aber im Club hast du mehr Zeit für Soundcheck, somit mehr Kontrolle und eine intensiver­e Beziehung zum Publikum“, sagt Ross Miller.

Fühlt sich die Band in Zeiten, in denen der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau auf dem „RollingSto­ne“-Cover zum US-Präsidente­n herbeigese­hnt wird, zu politische­n Statements berufen? „Wir haben mit politische­n Bands getourt, und manchmal fühle ich mich, als ob wir das vernachläs­sigen. Aber generell sind wir eher eine Band, die unterhalte­n will und bei der die Leute Spaß haben sollen“, sagt Bentham. „Mit Politik sind die Leute eh ständig konfrontie­rt. Bei uns sollen sie einen Abend lang nicht an die Welt da draußen denken.“

 ?? FOTO: PR ?? „Mit Politik sind die Leute eh ständig konfrontie­rt. Bei uns sollen sie einen Abend lang nicht an die Welt da draußen denken“, ist die Einstellun­g von The Dirty Nil.
FOTO: PR „Mit Politik sind die Leute eh ständig konfrontie­rt. Bei uns sollen sie einen Abend lang nicht an die Welt da draußen denken“, ist die Einstellun­g von The Dirty Nil.

Newspapers in German

Newspapers from Germany