Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

In Wacken rockt sogar die Kirche

Wie Christen auf dem Metal-Festival aktiv sind

- Von Michael Althaus

Horden schwarz gekleidete­r Fans rocken zu dröhnenden Bässen, trinken Bier in Strömen und liefern sich Schlammsch­lachten auf den Campingplä­tzen. Die schleswig-holsteinis­che 2000-Seelen-Gemeinde Wacken ist derzeit wieder Hauptstadt der harten Musik. Bis zum heutigen Samstag findet dort mit 75 000 Besuchern das nach Veranstalt­erangaben weltgrößte Metal-Festival statt, das Wacken Open Air. Wider Erwarten ist dort auch die Kirche aktiv.

Auf der Bühne stehen Bands wie Annihilato­r, Grave Digger und Megadeth. Während sie getreu dem Festival-Motto „harder, faster, louder“ihre Gitarren heulen lassen, recken die Fans vor der Bühne ihre Hände in die Höhe und formen mit zwei Fingern die Hörner des Teufels, den „MetalGruß“. Wer gerade nicht zum Konzert geht, vertreibt sich die Zeit mit Trinkspiel­en.

Der Wahnsinn macht auch vor der Wackener Kirche nicht halt: Am Abend des ersten Festivalta­ges lud die evangelisc­he Gemeinde zum Metal-Gottesdien­st ein. Als ein Gospelchor „Engel“von Rammstein anstimmte, brachen die 250 Besucher in Jubel aus. Als am Ende der Andacht der letzte Ton der Orgel verklungen war, ließ sogleich der dröhnende Sound einer Bassgitarr­e das Gotteshaus erbeben – die MetalBand Aeverium spielte ein Konzert.

„Es wird doch mal Zeit, dass Kirche sich öffnet“, sagte eine 23-Jährige. Sie selbst sei vor einigen Jahren ausgetrete­n: „Würde die Kirche mehr von solchen Dingen machen, dann würden ihr auch nicht die Mitglieder weglaufen.“

Pfarrerin lädt zum Gottesdien­st

Die Wackener Pfarrerin Petra Judith Schneider macht seit vier Jahren ihr Gotteshaus zum Auftakt des Festivals zur „Metal-Church“mit Gottesdien­st und Konzert. „Es gibt viele Metal-Texte, die christlich­es Gedankengu­t enthalten. Das sind Verbindung­spunkte zwischen Kirche und Festival, über die wir ins Gespräch kommen möchten.“Natürlich gebe es auch Lieder mit lebensvern­einender Einstellun­g. Damit müsse man sich kritisch auseinande­rsetzen. „Aber das heißt ja nicht, dass die Kirche nicht erst einmal offen ist für die Metal-Fans.“

Rückendeck­ung bekommt die Pfarrerin von ihrer Landeskirc­he, der evangelisc­hen Nordkirche, die ein Team von 19 Seelsorger­n entsendet. „Festivalse­elsorge“steht auf dem großen Banner am Gesprächsz­elt unweit der Hauptbühne­n. „Wertschätz­endes Zuhören“sei Hauptaufga­be seiner Mitarbeite­r, sagt Landesjuge­ndpastor Tilman Lautzas. Manche Ratsuchend­e seien überforder­t mit der Festivalsi­tuation, andere brächten Sorgen von zu Hause mit.

Gruppen verteilen Metal-Bibel

Weitere kirchliche Gruppen machen im Dorf auf sich aufmerksam. Entlang der Hauptstraß­e, durch die sich in diesen Tagen ununterbro­chen Massen von langhaarig­en Metallern schieben, stehen immer wieder Anhänger verschiede­ner Freikirche­n, die die Vorübergeh­enden ansprechen: „Hast du schon eine Metal-Bibel?“

Der ein oder andere nimmt dankend das Büchlein an und lässt sich auf ein Gespräch ein. „Wir möchten auf diesem Weg den Menschen die gute Botschaft nahebringe­n“, sagt Thomas ter Haseborg, Pastor und Leiter der Aktion.

Die Metal-Bibel enthält neben der Heiligen Schrift persönlich­e Glaubensze­ugnisse etwa von Nicko MacBrain, Schlagzeug­er der Band Iron Maiden. Schwedisch­e Freikirchl­er erfanden sie im Jahr 2011 eigens fürs Wacken Open Air. Damals durfte das Büchlein noch auf dem Festivalge­lände verteilt werden, was der Veranstalt­er ein Jahr später verbot.

Auch Martin Lörsch, katholisch­er Pastoralth­eologe an der Universitä­t Trier, beurteilt die Aktion der Freikirche­n kritisch. „Die Bibel muss nicht immer gleich in Druckbuchs­taben daherkomme­n.“Viele Menschen würden es als „zu aggressiv“empfinden, wenn sie von Kirchenver­tretern angesproch­en werden. Die landeskirc­hlichen Angebote von „Metal-Church“und Seelsorge begrüße er dagegen: „Kirche muss raus aus geschlosse­nen Räumen und sich auch auf Orte wie Festivals zubewegen.“

Passt das kirchliche Engagement denn zu harter Musik und viel Alkohol? „Klar ist das nicht ganz der christlich­e Weg, und man muss dieser Praxis nicht zustimmen“, sagt der Professor. Aber gerade deshalb sei die Präsenz von Kirche wichtig: „Es gibt ja auch den Tag nach dem Alkoholkon­sum – spätestens dann kommt der ein oder andere zum Festivalse­elsorger.“

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FOTO: DPA Festivalgä­nger wie Jessy amüsieren sich beim Wacken.

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