Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Winterlinger Kirchturmglocken klingen noch immer nicht
Renovierungen der evangelischen Kirche in Winterlingen dauern weiter an – Pfarrer fordert Erneuerung der Kirche im geistlichen Bereich
WINTERLINGEN - Die evangelische Kirche in Winterlingen ist mittlerweile, anders als in den Schreckensmonaten im Frühling diesen Jahres, wieder nutzbar. Doch die Restaurierung, die nun seit über einem Jahr andauert, ist damit noch längst nicht abgeschlossen.
„Uns bleibt nur noch das Warten, da die Vorgänge einem vorgegebenen Ablauf folgen“, sagt Pfarrer Ernst Nestele. Da die einzubauenden Balken Überlänge haben, müssen sie von Zimmerermeister Thomas Ristau (Albstadt-Onstmettingen) als Sonderanfertigung in Auftrag gegeben werden. Der Neuaufbau der Balken kann aber nur geschehen, wenn das Denkmalamt mitspielt. Pfarrer Nestele beschreibt den weiteren Vorgang, wie er derzeit geplant ist: Wenn alles vollständig dokumentiert beim Landesdenkmalamt eingereicht werde, müsse die Zustimmung des Amtes abgewartet werden, ehe man das Holz beschaffen, zusägen und schließlich auf dem Kirchturm einbauen könne. Danach müsse das Dach neu gedeckt werden, möglichst mit den historischen, noch erhaltenen Ziegeln.
Erst dann könnten die Glocken wieder klingen. Das liegt laut Nestele daran, dass das Gerüst erst spät, als man den immensen Schaden im Dach bemerkte, höher gebaut wurde. Die Glocken sind zur Stabilisierung des oberen Gerüstteils fixiert, das heißt ein Teil des Gerüstes ist an den Glocken festgemacht. Dadurch zögen sich nun Gerüststangen durch den Glockenstuhl, und die Glocken könnten nicht geläutet werden.
Das Gemeindeleben läuft weiter
Der Fortgang der Renovierungsarbeiten hängt einerseits vom Landesdenkmalamt ab, andererseits aber auch vom Wetter in den nächsten Monaten. Bei all den Überlegungen und Sorgen, ist Ernst Nestele aber eines besonders wichtig zu betonen: „Entscheidend für mich ist, dass das Gemeindeleben trotz dieser erschwerten Bedingungen uneingeschränkt weiterläuft.“Nestele sieht im morschen Dach seiner Kirche ein Bild für die Baufälligkeit der evangelischen Kirche im geistlichen Bereich: „Wir bräuchten Reformen hin zu einer Rückbesinnung auf das tragende Fundament der Kirche, Jesus Christus, nach 1. Korinther 3.“
Nestele vermisst eine solche Erneuerung mit Jesus als Baumeister der Kirche und einem klaren Bekenntnis auf Gottes Wort hin und betont mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche, kirchliche aber auch politische Situation unserer Zeit: „Was in geistlicher und kultureller Hinsicht passiert, ist nicht mit ein paar Baumaßnahmen in den Griff zu bekommen.“Zu befürchten sei langfristig ein Kulturkampf in Europa sowie eine Orientierungsleere im Zuge von Prozessen des Wertewandels und der Säkularisierung und deren Folgen. Der vierfache Familienvater Nestele stellt ein großes „geistliches Desinteresse“in der Gesellschaft fest und sieht die christliche Prägung des Landes in Gefahr, wenn diese nicht gestützt und verteidigt werde, so der Pfarrer.
Auch strukturell kritisiert Nestele seine eigene Kirche: Es brauche dringend weniger Bürokratie und konkrete Maßnahmen gegen den sich abzeichnenden Pfarrermangel, der vor allem mit dramatischen Verschlechterungen auf dem Land einhergehen werde. Darüber hinaus werde künftig die Immobilienerhaltung schwierig werden, wenn die Kirchensteuereinnahmen weiter zurückgingen.
Für die unerwarteten Sanierungsarbeiten, die nun unter erschwerten Bedingungen geleistet werden müssen, freut sich die Kirchengemeinde über Spenden. Die genauen Kosten sind noch nicht absehbar. Die Kirchengemeinde hofft neben vertraglichen Regelungen mit der örtlichen Gemeinde auf Zuschüsse des Landesdenkmalamts und des Kirchenbezirks.