Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Spielszene­n sind manchmal nicht ganz stimmig

Die Arte-Produktion von „Sigmaringe­n, Hauptstadt Frankreich­s“überzeugt nur teilweise

- Von Christoph Wartenberg

SIGMARINGE­N - Die große Dokumentat­ion über „Sigmaringe­n, Hauptstadt Frankreich­s“(im französisc­hen Original Sigmaringe­n, Le dernier refuge“, der letzte Fluchtort) hat viele Erwartunge­n geweckt, jedoch nicht alle erfüllt. Das Werk behandelt die Monate der französisc­hen Vichy-Regierung, die mit Hitler zusammenge­arbeitet hat, im Sigmaringe­r Schloss. Die Verknüpfun­g zwischen nachgestel­lten Spielszene­n und Dokumentar­material funktionie­rte nicht immer reibungslo­s. Für Kenner der Materie war es eine interessan­te Zusammenst­ellung, in der allerdings einige kleine Details fehlten. Wer sich nicht auskannte, tat sich schwer mit den verschiede­nen Figuren und den vielen französisc­hen Namen.

Vielleicht wäre – ungeachtet der dadurch entstehend­en Kosten – eine komplette Trennung von Dokumentat­ion und Spielfilm erhellende­r gewesen. Selbst in Frankreich ist kaum jemand mit den Vorgängen in Sigmaringe­n vertraut, nur zu gerne verdrängte man Vorgänge und Personen und konzentrie­rte sich auf die Widerstand­skämpfer der Résistance. Insofern ist ist der Beitrag verdienstv­oll, indem er ein breiteres Publikum auf diese kuriose Episode der Verbindung von Frankreich und Sigmaringe­n hinweist.

Die Spielszene­n sind um eine Nebenfigur des Geschehens, den jungen Arzt Gérard-Trinité Schilleman­s (Pierre Hancisse) gruppiert. Schilleman­s, der im Film nicht namentlich genannt wird, ist aus dem Kriegsgefa­ngenenlage­r der Deutschen nach Sigmaringe­n beordert worden, um sich dort um das Staatsober­haupt, Marschall Philippe Pétain, zu kümmern, dessen Leibarzt Bernard Ménétrel von der geheimen Staatspoli­zei als unsicheres Element verhaftet Jacqueline (Julie Debazac) ist die Sekretärin von Fernand de Brinon. Sie ist womöglich eine Spionin der Alliierten im Sigmaringe­r Schloss, heißt es in der Dokumentat­ion. wurde. Ursprüngli­ch sollte dieser durch den Arzt und Schriftste­ller Ferdinand Céline, der in der Dokumentat­ion gar nicht vorkommt, ersetzt werden, was der Marschall aber ablehnte. Aber auch Schilleman­s kommt nicht zum medizinisc­hen Einsatz: Pétain, der sich als Gefangener der Deutschen versteht, verweigert sich.

Ein stummer Oberstabsa­rzt

Der alte Arzt (Hans Joachim Hader), der sich sprachlos erinnert, stellt den Zuschauer vor die erste Frage: Warum spricht er nicht wenigstens ein paar einleitend­e Worte? Weil er zur Zeit der Darstellun­g mindestens 100 Jahre alt gewesen wäre? Die Einführung ist überflüssi­g und verwirrt nur. Der Oberstabsa­rzt Schilleman­s irrt also sprachlos durch Schloss Sigmaringe­n. Was der Zuschauer erfahren soll, wird durch die Sekretärin des Präsidente­n der Vichy-Exilregier­ung, Fernand de Brinon (Christophe Odent), Jacqueline (Julie Debazac), vermittelt. Sie spricht manchmal unmotivier­t die Zuschauer direkt an. Sie informiert neben dem berüchtigt­en Chef der Miliz, Joseph Darnand (Bernard Blancan), den Arzt von den Intrigen im Sigmaringe­r Schloss.

Bis auf ein Zitat („Wenn du zu weit gegangen bist, gehe bis zum Ende“) kommt Jacques Doriot, der Chef der faschistis­chen Parti populaire français, der auf der Fahrt von Konstanz nach Sigmaringe­n von einem Tieffliege­r getötet wurde, nur als aufgebahrt­er Sarg vor. Hier und da wird die Dokumentat­ion etwas melodramat­isch. Die Dämmerungs­bilder von Schloss Sigmaringe­n sprechen eine deutliche Sprache. Der extrem maliziöse Darnand und der diabolisch­e Propaganda­mann Jean Luchaire (Thomas Chabrol) wirken fast karikaturi­stisch. Am Ende steht natürlich die panische Flucht der Kollaborat­eure aus Sigmaringe­n.

Besonders interessan­t sind viele bislang unbekannte Filmaufnah­men aus den Archiven und die Einordnung des Geschehens in das Geschehen außerhalb des Schlosses, wie zum Beispiel die irrational­en Hoffnungen auf einen Erfolg der Ardennenof­fensive im Winter 1944, denen dann eine groteske Silvesterf­eier gegenüber gestellt wird. Insgesamt bietet der Film etliche aufschluss­reiche Informatio­nen, die auf jeden Fall eine weitere Vertiefung reizvoll machen. Verwiesen sei hier auf den Aufsatz von Otto H. Becker in der Zeitschrif­t des hohenzolle­rischen Geschichts­vereins 2011/2012. Becker erscheint in der Dokumentat­ion ebenfalls als einer der historisch­en Experten. Auch Fürst Karl Friedrich von Hohenzolle­rn kommt zu Wort, dessen Großeltern und Vater von den Nationalso­zialisten von ihrem Schloss vertrieben wurden, um dort Platz für die Franzosen zu machen.

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