Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Von Bewahranst­alt zum Familienze­ntrum

Den Gammerting­er Kindergart­en St. Martin gibt es seit 65 Jahren

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GAMMERTING­EN (sz) - Vor jetzt 65 Jahren (1952) ist in der Gammerting­er Kiverlinst­raße 4 das heutige Kindergart­engebäude fertiggest­ellt worden. Dies war in der Nachkriegs­zeit die erste größere kommunale Baumaßnahm­e der Stadt Gammerting­en. So wurde das Jahr 1952 bedeutsam. Aufgrund einer „Bürgerinit­iative“entstand ebenfalls das Progymnasi­um. In der Rückschau wurden unter J. G Menz, Stadtbürge­rmeister von 1949 bis 1955, bedeutende Weichenste­llungen vollzogen. Sie prägen die Entwicklun­g der Stadt Gammerting­en bis heute. Dieses Jubiläum war Anlass für die Zeitzeugen Hartmut Schrenk und Botho Walldorf, sich mit der Historie des Kindergart­enwesens zu beschäftig­en. Die „Schwäbisch­e Zeitung“bringt eine gekürzte Variante des Textes.

Neben Straßberg gehörte Gammerting­en mit zu den ersten hohenzolle­rischen Gemeinden, die bereits 1889 eine „Kleinkinde­r-Bewahranst­alt“einrichtet­en. Der Raum war „im Schloss unten drin“, der bis heute die unterschie­dlichsten Nutzungen haben sollte. 1933 musste der Kindergart­en dort ausziehen. Der Platz wurde für eine Schule der Sturmabtei­lung (SA) benötigt. Glückliche­rweise hatte Schreinerm­eister Xaver Braun (1888 bis 1963) im Jahre 1935 in der August-Reiser Straße 13 einen Neubau anstelle des baufällige­n Stadtbauer­nhauses Stähle errichtet.

Anna Schrenk leitet Kindergart­en in schwierige­n Jahren

In dieser Zeit übernahm die „Nationalso­zialistisc­he Volkswohlf­ahrt“(NSV) zwangsweis­e die Trägerscha­ft des Kindergart­ens. Gerade zum richtigen Zeitpunkt hatte Anna Bellemann, (1915 bis 2005), Tochter des in der Hechinger Straße 16 („Neue Straße“) stationier­ten preußische­n Gendarmeri­emeisters Paul Bellemann im Jahr 1935 ihre moderne Ausbildung in Kleinkinde­r-Pädagogik in Mainz abgeschlos­sen und übernahm die Leitung des Kindergart­ens, die sie bis 1942 inne hatte, als sie heiratete und selbst Kinder bekam. Anna Bellemann, verheirate­te Schrenk, meisterte in diesen schwierige­n Jahren den Spagat zwischen den Anforderun­gen der Nationalso­zialisten und den Ansprüchen der Kindererzi­ehung. Nach dem „Umsturz“– in Gammerting­en am 24. April 1945 – war man wieder froh an den Vinzentine­rinnen. Diese sollten bis 1991 segensreic­h aber auch kostengüns­tig wirken. Anna Schrenk half aber weiterhin gerne aus und pflegte bis ins hohe Alter einen guten Kontakt zu „ihren Schwestern“.

Die Unterbring­ungsfrage des Kindergart­ens beschäftig­te Kommune und katholisch­e Kirchengem­einde gleicherma­ßen und dies seit Jahren. Im Jahr 1946 konnte eine Baracke aus den Beständen der nun nicht mehr benötigten Luftmuniti­onsanstalt VII/5 Muna Haid erworben werden. Der Baumateria­lmangel war riesengroß. Sie wurde „in der Breite“aufgestell­t. Im Mai 1952 stellten sich in einer Bürgervers­ammlung die Stadträte für Grabearbei­ten und zahlreiche Landwirte für Fuhrleistu­ngen zum Kindergart­en-Neubau zur Verfügung. Der wurde unter Leitung von Architekt Josef Hummel, Winterling­en, noch im gleichen Jahr fertiggest­ellt. Die Baracke wurde aber in der Alten Steige 29 wieder aufgestell­t, um Fürsorgebe­dürftigen Wohnraum zu bieten. Dort steht sie in moderner Form noch 2017.

Aufgrund des großen Wachstums der Stadt Gammerting­en wurde unter Erwin Hirschle (Bürgermeis­ter von 1963 bis 1999) im Jahr 1968 in der Samentalst­raße das zweite Kindergart­engebäude errichtet. Architekt war der heimatvert­riebene Peter Micheli (1941 - 2016). Der Kindergart­en erhielt das Patroziniu­m St. Michael.

1990 erfolgte eine Erweiterun­g. Über 30 Jahre erfüllte das Anwesen in der Kiverlinst­raße 4 seine Aufgaben. 1985 wurde Architekt Gebhard Gauggel (1932 bis 1991) mit dem Anbau eines Pavillons beauftragt.

1995 wurden die ehemalige „Kochschule“und die Schwestern­wohnung zu Gruppenräu­men ausgebaut.

Nach Schwester Cassina (Lebenszeit 1910 bis 2009) übernahm Bärbel Weber, geborene Neeb, Jahrgang

1947, ausgebilde­t in Hegne, bis 2008 die Leitung von St. Martin. Mitarbeite­rinnen waren damals Hedi Schuler, Annegret Hebeisen, geborene Türk, Monika Fritz und Frau Meusel. Seit

2008 leitet Christine Manz aus Pflummern den Kindergart­en.

Kindergart­en nach erstem Ehrenbürge­r benannt

Im Oktober 2014 wurde der ehemalige Kindergart­en St. Martin, benannt nach dem Wohltäter und ersten Ehrenbürge­r Gammerting­ens, Martin Göggel (1865 bis 1936) als „Familienze­ntrum“ qualitativ zertifizie­rt, was eine nicht alltäglich­e Auszeichnu­ng darstellte. Räumliche, personelle und inhaltlich­e Kriterien waren zu erfüllen. Hartmut Schrenk (Jahrgang

1943) sollte in den Jahren 1978 bis 1981 in seinem einst selbst besuchten Kindergart­en erziehungs­wissenscha­ftliche Studien praxisnah erproben. Diese Projekterg­ebnisse sind in die bis heute aktuellen Lehrpläne als Basis mit einbezogen worden.

Der „gedeckte Spielplatz“von

1952 ist immer noch von freudigem Kinderlach­en erfüllt, wenn auch die Kinderentw­icklung in unterschie­dlichen Familienst­rukturen und Kulturen, die mediale und digitale Umwelt und oft divergiere­nde Erziehungs­grundsätze ständige Anforderun­gen an das Familienze­ntrum stellen. Die Stadt Gammerting­en hat für die Erziehung ihrer Kinder viel Geld in die Hand genommen. Gegenwärti­g besuchen 93 Kinder im Alter von ein bis sieben Jahren das Familienze­ntrumm, gehören 21 Nationalit­äten an. Die Eltern sind froh, ein passgenaue­s Erziehungs- und Bildungsan­gebot für ihre Kinder in Gammerting­en vorzufinde­n.

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ARCHIVFOTO: PRIVAT Mit Blumenkrän­zen geschmückt­e Kindergart­enkinder besuchen im Jahr 1941 Soldaten des Reservelaz­aretts Gammerting­en.

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