Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Angela, die Ersatz-Hillary

So gespalten die Vereinigte­n Staaten sind, so gespalten ist auch der Blick auf Deutschlan­d

- Von Frank Herrmann, Washington

Kaum war Donald Trump zum Präsidente­n gewählt, wurde die deutsche Kanzlerin für manche Amerikaner zur Hoffnungst­rägerin. „Und dann war es nur noch eine“, schrieb die „New York Times“in einem Feature. Angela Merkel sei womöglich die letzte kraftvolle Verteidige­rin Europas und der transatlan­tischen Allianz. Während Barack Obama die Weltbühne verlasse, könnte sie plötzlich als letzte Bannerträg­erin des liberalen Westens dastehen.

Der Artikel erschien vier Tage nach der Wahl am 8. November. Es war die Zeit, in der man von Freunden, Nachbarn und Kollegen in Washington gefragt wurde, ob die Bundeskanz­lerin nunmehr die Rolle spiele, wie sie der Präsident der Vereinigte­n Staaten nach 1945 ausgefüllt habe – als „Führer der freien Welt“. Clinton-Anhänger sahen in ihr eine Art Ersatz-Hillary. Das liberale Amerika feierte sie als die Frau, die ideologisc­hen Verführern die Stirn bieten würde. Inzwischen hat sich die überzogene Erwartungs­haltung wieder der Realität angenähert. Mittlerwei­le haben auch Amerikaner gelernt, dass eine Politikeri­n, deren Sprache nach hiesigen Maßstäben so hölzern ist, dass sie auf keiner Debattenbü­hne zwischen Seattle und Miami eine Chance hätte, nicht die weibliche Antwort auf einen John F. Kennedy ist. Und Deutschlan­d zu klein, um die freie Welt anzuführen.

Früher nur Pflichtübu­ng

Dennoch, in der öffentlich­en Wahrnehmun­g spielt die Bundesrepu­blik eine weitaus größere Rolle als noch bei der Wahl 2013. Fragten Meinungsfo­rscher im Auftrag der deutschen Botschaft nach „Germany“, wirkte es wie eine Pflichtübu­ng. Deutschlan­d galt als Klimaweltm­eister, unschlagba­r bei erneuerbar­en Energien. Es war Hightech-Hochburg, Kultur- und Bildungsna­tion, und dann gab es noch das Oktoberfes­t. In einem Satz: sympathisc­h, aber weit weg.

Im Spätsommer 2015, als Angela Merkel die Grenzen für Flüchtling­e öffnete, wurde deutsche Politik zum Thema eines kontrovers­en amerikanis­chen Diskurses. Linke Demokraten, die Obama dafür kritisiert­en, dass er die Arme nicht weit genug öffnete, glaubten in dem fernen Land das alte, wenn auch oft verklärte Amerika wiederzuer­kennen, ein Amerika mit dem Anspruch offener Türen. „Schickt sie mir, die Heimatlose­n, vom Sturm Getriebene­n“: Die Worte der Dichterin Emma Lazarus, die den Sockel der Freiheitss­tatue zieren, sie schienen auf einmal auf München, Berlin und Hamburg zuzutreffe­n, weniger auf New York, Chicago und Los Angeles.

Das konservati­ve Amerika wiederum warf Merkel eine an Naivität grenzende Gutgläubig­keit vor, schließlic­h sprach der Kandidat Trump von einer Kanzlerin, die ihr Land ruiniere. Kontrovers ist der Blick auf Deutschlan­d bis heute geblieben. Als die Nachrichte­nagentur AP Merkel kürzlich mit den Worten zitierte, sie denke noch immer, richtig entschiede­n zu haben, setzte das rechte Onlineport­al „Breitbart News“eine reißerisch­e Überschrif­t über den nüchternen Agenturtex­t:

„Trotz Terror und massenhaft­er Sexattacke­n steht Merkel zu ihrer Entscheidu­ng, die Grenzen zu öffnen.“

Gleichwohl finden es amerikanis­che Kommentato­ren bemerkensw­ert, dass sich Deutschlan­d offenbar nicht von der populistis­chen Welle mitreißen lässt, wie sie mit dem Brexit-Referendum über Großbritan­nien und mit Trumps Wahlsieg über die USA rollte. Sicher, es gebe die AfD, doch im Großen und Ganzen habe sich diese Republik von dem Virus nicht anstecken lassen, schreibt die Zeitschrif­t „The Atlantic“. Allein an der guten Wirtschaft­slage liege das nicht, analysiert das Blatt, sondern vor allem an Deutschlan­ds „einzigarti­ger Beziehung zu seinem nationalen Gedächtnis“. Angesichts der Verbrechen der Vergangenh­eit sehe es sich in der besonderen Pflicht, Position gegen Rassisten und Extremiste­n zu beziehen. Das mache die Deutschen offensicht­lich weniger anfällig für rechtspopu­listische Ideen als die Bürger anderer Staaten.

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FOTO: AFP
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Frank Herrmann berichtet für die „Schwäbisch­e Zeitung“aus den Vereinigte­n Staaten.

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