Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

London erhofft Pragmatism­us

Britische Sorgen und ein kurioser Debattenbe­itrag

- Von Sebastian Borger, London

Dass Angela Merkel bei der Wahl am Sonntag als Bundeskanz­lerin bestätigt wird, halten die Briten für selbstvers­tändlich. Einer der wichtigste­n Gründe dafür, schreibt Michael Taylor vom konservati­ven Thinktank Policy Exchange, sei „die Stärke der deutschen Wirtschaft“. Die Regierungs­chefin verkörpere „Zufriedenh­eit und Sicherheit“, kommentier­t der linksliber­ale „Guardian“. Das komme den Deutschen entgegen.

Ähnlich geht es vielen Beobachter­n auf der Insel. Manche wie die „Financial Times“erhoffen sich von Merkel mehr Führungsst­ärke, nicht zuletzt auf der globalen Bühne. Gerade das „gefährlich­e Benehmen“von US-Präsident Donald Trump gebe den Deutschen Anlass dazu, Merkels „vorsichtig­e Solidität“zu schätzen: „Die Aussicht auf eine erfahrene Führungsfi­gur für Europas mächtigste Nation ist ein einsames Licht in einer düsteren geopolitis­chen Landschaft.“

Ähnlich sehen es die politische­n Macher, wenn sie sich auch völlig aus dem Wahlkampf herausgeha­lten haben. Merkels Wiederwahl werde den Weg für eine pragmatisc­he BrexitLösu­ng freimachen, hoffen Theresa May und ihre Minister. Allerdings gilt das persönlich­e Verhältnis der beiden mächtigste­n Frauen Europas als unterkühlt.

Dem SPD-Spitzenkan­didaten Martin Schulz begegnen viele Medien mit offener Skepsis, vor allem wegen seiner langen Jahre in Brüssel. Der Merkel-Herausford­erer „könne kaum pro-europäisch­er sein“, schreibt Rebecca Lowe vom EUskeptisc­hen Thinktank

Policy Exchange – schließlic­h habe er dem EU-Parlament fünf Jahre vorgesesse­n.

Für die neue Legislatur­periode hoffen viele

Briten auf ein Bünd- nis der CDU/CSU mit der FDP – „eine wirtschaft­sfreundlic­here Koalition in Berlin“werde dann, so Faisal Islam vom TV-Sender Sky, „die EUKommissi­on an die Kandare“nehmen und damit den Brexit erleichter­n.

Zu den Debattenbe­iträgen gehörten auch Kuriosität­en wie ein Essay im Wochenmaga­zin „New Statesman“. Dem Buchautor und Nietzsche-Kenner James Hawes zufolge verläuft die wichtigste innerdeuts­che Grenze seit Karl dem Großen an der Elbe. Bei der Wahl gehe es vielen Deutschen darum, eine Wiederbele­bung des nach Osten schauenden Preußentum­s zu verhindern: Viel wichtiger als der Brexit sei liberalen Deutschen die Bewahrung der Westorient­ierung des Landes. Die bemerkensw­erte These nimmt allerdings Schaden durch zahlreiche Detailfehl­er: Laut Hawes lautet der Text der Nationalhy­mne noch immer „Deutschlan­d über alles“, liegt Leipzig in Thüringen, sprechen Deutschlan­ds östliche Nachbarn selten über die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg – letzteres trifft jedenfalls auf die polnische Rechtsregi­erung gewiss nicht zu.

In den letzten Tagen vor der Wahl wiesen viele Artikel auch auf das Erstarken der harten Rechten in Deutschlan­d hin. Die Anzeigenka­mpagne der AfD, hieß es bei Sky, stelle „eine Mischung aus Nationalis­mus, Fremdenhas­s und Frauenfein­dlichkeit“dar. Die „Financial Times“wertete Äußerungen von AfD-Spitzenkan­didatin Alice Weidel als „Echo der rechtsextr­emen Reichsbürg­erBewegung“.

Die rassistisc­he Kampagne der NPD gegen den schwarzen SPDAbgeord­neten Karamba Diaby brachte die konservati­ve „Times“zu der Feststellu­ng, dass unter der Oberfläche in Deutschlan­d „tiefe Gräben und Wut“existierte­n.

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