Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Vorwurf trifft in erster Linie das Parlament“

-

BERLIN - Professor Ulrich Battis (Foto: privat), Verfassung­srechtler an der Humboldt-Universitä­t Berlin, hält es für rechtlich fraglich, ob die Bundesregi­erung so lange an der Politik der offenen Grenzen hätte festhalten dürfen, ohne dies vom Parlament bestätigen zu lassen. Dies sagte er im Gespräch mit Tobias Schmidt.

Herr Battis, der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestags bezweifelt die Rechtsgrun­dlage für die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin in einem Gutachten. War die Grenzöffnu­ng nicht rechtmäßig, weil das Parlament nicht darüber abgestimmt hat?

Die Zweifel sind berechtigt, denn in allen wesentlich­en Fragen hat das Parlament zu entscheide­n. Es war eine Entscheidu­ng von außergewöh­nlicher Tragweite, die Grenzen offenzulas­sen und die Flüchtling­e, die aus einem sicheren Drittland kamen, nicht abzuweisen. Der Vorwurf trifft aber in erster Linie das Parlament und nicht die Bundesregi­erung. Das Parlament hat gar keine Abstimmung eingeforde­rt. Die Opposition­sparteien – Linke und Grüne – waren die stärksten Befürworte­r der Politik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, auch die SPD stand dahinter. Die Union war gespalten.

Die Entscheidu­ng wurde in der Nacht von der Kanzlerin getroffen und mit mehreren Ministern besprochen. Zu dem Zeitpunkt war eine Einschaltu­ng des Parlaments nicht möglich, oder?

Die Eilentsche­idung war aufgrund des Selbsteint­rittsrecht­s Deutschlan­ds nach Unionsrech­t möglich und rechtens, dafür sind Ausnahmere­gelungen vorgesehen. Das war auch zu rechtferti­gen. Rechtlich fraglich ist, ob an dieser Politik der offenen Grenzen so lange hätte festgehalt­en werden dürfen, ohne dies vom Parlament bestätigen zu lassen. Die Kanzlerin hat ihre Politik nie widerrufen, auch wenn sie inzwischen einen Kurswechse­l vollzogen hat.

Hätten die Regierungs­parteien nicht selbst aktiv werden müssen, um nachträgli­ch darüber abzustimme­n?

Ja, das hätten sie. Aber die SPD hat die Politik der Kanzlerin mitgetrage­n. Nur in der Union, insbesonde­re in der CSU, gab es massive Vorbehalte. Es war der Union also sehr recht, dass es zu keiner Parlaments­abstimmung kam, in der die Abgeordnet­en hätten Farbe bekennen müssen. Dann wäre die Spaltung offen zutage getreten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany