Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Übergangsperiode nach Brexit
May will Zugang für Firmen auf der Insel weiter möglich machen
FLORENZ (AFP/dpa/sz) - Großbritannien hat nach dem EU-Austritt im März 2019 eine zweijährige Übergangsphase vorgeschlagen. In dieser Zeit solle der Zugang für Unternehmen auf die Märkte der jeweils anderen Seite unter heutigen Bedingungen weiter möglich sein, sagte Premierministerin Theresa May am Freitag in einer Rede in Florenz. Sie sicherte gleichzeitig zu, dass Großbritannien seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen wird, die es in der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft eingegangen sei. Eine konkrete Summe nannte sie nicht.
Großbritannien zahlt jährlich etwa zehn Milliarden Euro netto in den EU-Haushalt ein. Bei einer zweijährigen Übergangsphase müsste London demnach noch ungefähr 20 Milliarden Euro trotz Brexits zahlen. Damit könnte allerdings nur ein Teil der 60 bis 100 Milliarden Euro abgegolten sein, die London der EU nach Ansicht von Brüssel schuldet. Diese Rechnung umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten. Die Schlussrechnung ist der größte Knackpunkt bei den bislang sehr zäh verlaufenden Brexit-Verhandlungen.
Im Streit um den Status der in Großbritannien lebenden EU-Bürger nach dem Brexit ging May einen Schritt auf Brüssel zu. „Ich möchte, dass die britischen Gerichte die Urteile des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigen können“, sagte sie. Ziel sei es „eine einheitliche Interpretation“von Rechtsfragen sicherzustellen.
Die künftigen Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien sind neben den Finanzforderungen an London und dem Status Nordirlands zentrale Fragen in den Austrittsgesprächen mit der EU. Erst wenn es in diesen Bereichen „ausreichende Fortschritte“gibt, will die EU die zweite Phase der Verhandlungen einläuten, in der auch über die künftigen Beziehungen zu London und ein mögliches Handelsabkommen gesprochen wird.
Enttäuschung in der Wirtschaft
In der deutschen Wirtschaft kam die Rede der britischen Premierministerin nicht gut an. „Theresa May hat mit ihrer enttäuschenden Rede in Florenz die Chance für einen Neuanfang in den Brexit-Verhandlungen vertan. Frau May muss endlich die Politik des Rosinenpickens beenden. Jetzt ist es an Brüssel, die Weichen für einen geregelten Brexit zu stellen“, erklärte der deutsche und europäische Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Was die deutsche Wirtschaft vor allem brauche und erwarte, sei Planungs- und Investitionssicherheit. Drohende Zölle und bürokratische Handelshemmnisse seien das genaue Gegenteil davon und stellten schon jetzt eine erhebliche Beeinträchtigung des Investitionsklimas dar, so Ohoven.
Die deutsche Wirtschaft ist auf das Engste mit der britischen Wirtschaft verknüpft: Für das Vereinigte Königreich ist Deutschland vor den USA der wichtigste Handelspartner, für Deutschland ist das Vereinigte Königreich der dritt wichtigste Exportmarkt. Mehr als 2500 deutsche Unternehmen, darunter viele Mittelständler, verfügen über eigene Niederlassungen in Großbritannien, umgekehrt sind hierzulande rund 3000 britische Unternehmen engagiert.