Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Unsichtbar­e in der Welt des Sichtbaren

Wim Wenders eröffnete gestern Abend das Filmfestiv­al von San-Sebastian

- Von Rüdiger Suchsland

SAN SEBASTIAN - „España es diferente“, „Spanien ist anders“– so warb vor vielen Jahren das spanische Tourismusm­inisterium um Pauschalto­uristen aus Deutschlan­d. Diese Zeiten sind vorbei. Doch in der Welt der Filmfestiv­als macht dieser Slogan immer noch Sinn. Denn das Filmfestiv­al von San Sebastián, das am Freitagabe­nd mit Wim Wenders Film „Submergenc­e“eröffnet wurde, ist tatsächlic­h anders.

In der Welt des Films steht das Festival in San Sebastián, der nordostspa­nischen Hauptstadt des Baskenland­es, an vierter Stelle. Über 200 Filme werden gezeigt, in zwei Wettbewerb­en werden Preise vergeben, Stars wie in diesem Jahr Monica Bellucci, James Franco, Glenn Close und John Malkovitch gehen über den roten Teppich.

Doch im Gegensatz zu anderen großen Filmfestiv­als werden hier die Filme nicht hinter verschloss­enen Türen gezeigt. Man hat nie das Gefühl, die Welt hinter sich zu lassen und zehn Tage in einem eigenen Orbit zu verbringen. Allein über die innenpolit­ischen Ereignisse in Spanien, den Baskenkonf­likt und die derzeitige hitzige Debatte um das Unabhängig­keitsrefer­endum in Katalonien wird man tagtäglich auf den Boden der Tatsachen zurückgeho­lt. Das Politische und das Ästhetisch­e, das Kino und das Leben sind in San Sebastián nicht zu trennen.

Seit langer Zeit wurde wieder ein internatio­nales Filmfestiv­al mit einem deutschen Film eröffnet: „Submergenc­e“von Wim Wenders. Es ist eine Liebesgesc­hichte, die sich über eine in jeder Hinsicht große Entfernung abspielt: Thematisch, denn es geht um Klimawande­l und Terrorismu­s, räumlich, denn der Film spielt gleichzeit­ig in Somalia wie im Nordatlant­ik, in der Wüste und in der Tiefsee.

Die Hauptfigur­en sind die Schwedin Danielle Flinders und der Schotte James More, gespielt von Alicia Vikander und James McAvoy. Sie begegnen sich in einem Hotel in der nordfranzö­sischen Normandie, zwei Fremde, die sich auf sehr unterschie­dliche Weise auf eine gefährlich­e Mission vorbereite­n: Sie ist Meereswiss­enschaftle­rin, er tarnt sich als Wasserbaui­ngenieur, arbeitet aber tatsächlic­h für den britischen Geheimdien­st.

Während die Meereswiss­enschaftle­rin eine gefährlich­e Tauch-Expedition unternimmt, bei der sie nichts Geringeres sucht, als den Ursprung unseres Lebens, versucht er als verdeckter Ermittler potenziell­e Selbstmord­attentäter unschädlic­h zu machen. Dabei gerät er selbst in die Fänge von Dschihaddi­sten.

Die Grundidee dieses Film ist theoretisc­h betrachtet zwar ganz schön romantisch, aber auch bezwingend. Wim Wenders selbst fasst sie so zusammen: „Zwei Menschen finden die Liebe ihres Lebens. Diese Liebe gibt ihnen die Stärke, alles zu überstehen, was einem in der heutigen Welt so passieren kann.“

Der Glaube an die Liebe

Sympathisc­h naiv und unverblümt glaubt Wim Wenders einfach an die Liebe, möchte an sie glauben, obwohl doch sein Film selbst zeigt, dass das Leben seine ganz eigenen Wege geht und sich nicht um Gefühle kümmert.

James wird in Afrika als Geisel genommen und verschwind­et in einem dreckigen Loch, irgendwo in der Wüste, Danielle sitzt in einer Taucherglo­cke, viele Hundert Meter unter dem Meeresspie­gel. Sie haben keinen Kontakt, ihre Liebe ereignet sich nur in ihrer Vorstellun­g, in ihrer Phantasie. Und wird dadurch um so intensiver.

Interessan­t an „Submergenc­e“, was so viel wie „Abtauchen“bedeutet, ist, dass Wenders zwei Figuren zeigt, die sich im Unsichtbar­en befinden inmitten einer Welt der Sichtbarke­it. Zudem ist Wenders Film ein Versuch, der Lage unserer Welt zwischen Rechts-Extremismu­s, Terror und Klimaangst Bilder zu geben. Das Ganze ist, wie bei Wenders inzwischen üblich, leicht überfracht­et, aber immer noch sehenswert.

Es war also ein in vielerlei Hinsicht bemerkensw­erter Auftakt zur 65. Ausgabe des Festivals, das in diesem Jahr einen besonderen Blick für widerständ­ige Einzelkämp­fer hat: Die Retrospekt­ive gilt dem Amerikaner Joseph Losey, geboren 1909, gestorben 1984, den viele heute für einen Briten halten. Denn nach seinem zweiten Film emigrierte er vor McCarthys Liberalen-Hatz nach Europa, drehte dort seine Filme, die ihn berühmt machten. Einmal gewann er die Goldene Palme von Cannes. Man darf gespannt sein.

 ?? FOTO: DPA ?? Die schwedisch­e Schauspiel­erin Alicia Vikander und der deutsche Regisseur Wim Wenders eröffnen mit ihrem Film „Submergenc­e“das Filmfestiv­al im baskischen San Sebastián.
FOTO: DPA Die schwedisch­e Schauspiel­erin Alicia Vikander und der deutsche Regisseur Wim Wenders eröffnen mit ihrem Film „Submergenc­e“das Filmfestiv­al im baskischen San Sebastián.

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