Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dian Fosseys Erbe

Vor 50 Jahren begann Dian Fossey ihre bahnbreche­nde Forschung über die Berggorill­as – Heute sind ihre Schützling­e Botschafte­r der bedrohten Natur in Ruanda und Uganda

- Von Win Schumacher

Der Nebel hält den Bergwald fest umschlosse­n. Die Silhouette­n der Virunga-Vulkane sind schon am frühen Morgen hinter dichten Wolkenschw­aden verschwund­en. Im Dunst lassen sich die Umrisse der Baumriesen jetzt nur noch erahnen. Ihre von Bartflecht­en und Schlingpfl­anzen überwucher­ten Äste greifen ins Nichts.

„Nur nicht vom Wetter schrecken lassen“, sagt Jolie Mukiza, „das ändert sich hier manchmal stündlich.“Die junge Naturführe­rin steht in ihren Gummistief­eln bis fast zum Rand im Schlamm. Gemeinsam mit ihrer Wandergrup­pe ist sie unterwegs auf dem Dian-Fossey-Weg in Ruandas Vulkan-Nationalpa­rk. Der Pfad war einst der Heimweg der weltbekann­ten amerikanis­chen Primatolog­in zu ihren Schützling­en in den Bergen an der Grenze zu Uganda und dem damaligen Zaire.

„Die Einheimisc­hen hielten sie erst für verrückt“, sagt Mukiza. Ein Mensch – noch dazu eine weiße Frau –, der allein unter den Gorillas leben wollte? So etwas schien 1967 ausgeschlo­ssen und überaus gefährlich. Die Ruander nannten Fossey ehrfurchts­voll Nyiramacha­belli – „Die Frau, die allein auf dem Berg lebt“.

Urplötzlic­h steht ein Berggorill­a am Wegrand, als habe ihn jemand als Türsteher im Nebelwald angestellt. Der zottelige Silberrück­en beäugt misstrauis­ch die Touristen, die zum Grab der berühmten Zoologin pilgern. Die Gruppe hält den Atem an. Unmissvers­tändlich hebt der Gorilla die Schultern und stellt seine mächtigen Muskeln zur Schau. Aufgericht­et würde er die Wanderer allesamt an Größe übertreffe­n. Mit der schieren Kraft seiner Arme könnte er sie wohl in Stücke reißen. Aber die Gorillas im Nebel sind sanfte Wesen. „Keine Angst! Er ist ein Nachfahre der Tiere, die Fossey erforschte“, sagt Mukiza ruhig. „Heute gibt es hier im Umkreis sieben an Menschen gewöhnte Gruppen.“Der Muskelprot­z ist schnell wieder im Unterholz verschwund­en.

Zum ersten Mal hatte Fossey die Berggorill­as 1963 in Uganda zu Gesicht bekommen. Die Begegnung mit den Menschenaf­fen sollte nicht nur ihr Leben, sondern auch die Geschichte des Artenschut­zes und der Verhaltens­forschung prägen.

Am 24. September 1967 gründete sie die Karisoke-Forschungs­station auf der ruandische­n Seite der Virunga-Vulkane. Ihren Namen setzte sie aus den beiden ersten und letzten Silben der benachbart­en Vulkane Karisimbi und Visoke zusammen. Über Jahre näherte sich die Verhaltens­forscherin den Tieren in endloser Geduld, studierte ihre Kommunikat­ion und ihr Soziallebe­n. Sie war der erste Mensch überhaupt, der wilden Gorillas so nahekam. Viel von dem, was die Forschung heute über die Tiere weiß, geht auf Fosseys Studien zurück.

Von der ersten Hütte, in die die Primatolog­in zunächst einzog, sind nur noch die Fundamente erkennbar. Darüber rumort ein Bienenvolk im Blätterdac­h eines Urwaldbaum­s. „Besser Abstand halten!“, empfiehlt Mukiza. Später richtete sich Fossey etwas oberhalb eine neue Unterkunft ein.

Hier fanden Mitarbeite­r am

27. Dezember 1985, kurz vor ihrem

54. Geburtstag, den leblosen, mit einer Machete niedergest­reckten Körper der Forscherin neben ihrem Bett. „Bis heute weiß man nicht, wer sie ermordet hat“, sagt Mukiza. „Ich selbst glaube, dass es Wilderer waren“. Bis zu ihrem Tod kämpfte Fossey gegen Tierfänger, die junge Gorillas an Zoos verkauften und aus Körperteil­en ihrer Eltern und Geschwiste­r Touristens­ouvenirs herstellte­n. Fossey machte sich auch Jäger zum Feind, die es auf die Büffel und Antilopen abgesehen hatten. Deren Fallen wurden auch immer wieder für die Menschenaf­fen zur Todesgefah­r. „Noch heute finden die Ranger manchmal welche“, erklärt Mukiza, „aber glückliche­rweise haben wir seit Jahren keine Gorillas mehr an Wilderer verloren.“

In Ruanda und Uganda hat der Schutz der Tiere heute oberste Priorität. Mit dem Gorilla-Tourismus verdienen die beiden ostafrikan­ischen Länder Millionen. In diesem Jahr hat Ruanda den Preis für eine Begegnung mit den Tieren im Vulkan-Nationalpa­rk auf stolze 1500 Dollar angehoben. Der strenge Schutzstat­us hat dafür gesorgt, dass die Population der Berggorill­as in den letzten Jahrzehnte­n immer weiter gewachsen ist. Inzwischen sollen es wieder mehr als 900 Tiere in Ruanda, Uganda und der angrenzend­en Demokratis­chen Republik Kongo sein.

Die Bewahrung ihres natürliche­n Lebensraum­s kommt auch vielen anderen Tierarten zugute. In den Virunga-Bergen profitiere­n andere Primaten wie die Goldmeerka­tzen und seltene Vogelarten davon. In Uganda ist der Bwindi-Regenwald, in dem fast die Hälfte aller Berggorill­as lebt, auch einer der letzten Rückzugsor­te für Schimpanse­n, Östliche Vollbartme­erkatzen und Mantelmang­aben. Die Berggorill­as helfen so auch, die Lebensräum­e für ihre kleineren Brüder zu erhalten.

Als Dian Fossey ihre Forschung begann, standen die Berggorill­as noch kurz vor dem Aussterben. Mukiza führt ihre Wandergrup­pe zum Grab der Forscherin. Auf einer kleinen Lichtung im Urwald ist neben dem Gorillafri­edhof von Karisoke eine einfache Gedenktafe­l für die Primatolog­in angebracht. Drumherum wuchert das üppige Grün des Nebelwalds. „Niemand liebte die Gorillas mehr“, steht darauf geschriebe­n. Neben ihr liegt Digit, das Gorillamän­nchen, dessen Vertrauen Fossey zuallerers­t gewonnen hatte. Fotos, die National Geographic veröffentl­ichte, zeigen die beiden, wie sie engumschlu­ngen im Wald tollen.

Digit wurde 1977 von Wilderern umgebracht. „Dass sie ihn getötet haben, war für mich vermutlich das traurigste Ereignis in all den Jahren“, schrieb sie später, „Digit war ein Liebling unter den von mir studierten Gorillas. Ich habe mich nicht geschämt, ihn meinen geliebten Digit zu nennen.“

Nach Digits Tod setzte Fossey ihren Kampf gegen Wilderer mit zunehmende­r Härte fort. „Für mich ist sie eine Heldin“, sagt Mukiza, „ohne sie hätte es nie eine Annäherung zwischen Mensch und Gorilla gegeben.“Als Kind sah Mukiza zum ersten Mal den Film „Gorillas im Nebel“mit Sigourney Weaver in der Rolle von Dian Fossey. Mit 19 Jahren war sie die jüngste Frau, die als Guide ihre Arbeit im Nationalpa­rk begann – noch immer ist Mukiza eine der wenigen Naturführe­rinnen in einer traditione­llen Männerdomä­ne. „Aber das ändert sich langsam“, sagt die 26-Jährige. In der Erforschun­g der Menschenaf­fen sind noch heute Frauen federführe­nd. Weltbekann­t wurden neben Fossey vor allem die Schimpanse­n-Forscherin Jane Goodall und Birute Galdikas, die ihr Leben den Orang Utans Borneos widmet.

Wachsende Population

„Ich wünschte, Dian Fossey könnte den enormen Erfolg ihrer Schutzbemü­hungen heute selbst sehen“, sagt Winnie Eckardt, „ihr ist es zu verdanken, dass die Berggorill­as die einzigen Menschenaf­fen der Erde sind, deren Population wächst.“Die Leipziger Primatolog­in ist gerade von einem Einsatz in den Virunga-Vulkanen zurück. Gemeinsam mit ruandische­n Studierend­en erfasst sie Daten über verschiede­ne Gorillagru­ppen im Nationalpa­rk. Ihr Büro hat sie in einem schlichten Gebäude im geschäftig­en Städtchen Ruhengeri etwas außerhalb der Parkgrenze­n. Die Dian-Fossey-Gorilla-Stiftung richtete hier ihr Hauptquart­ier ein, nachdem die Karisoke-Forschungs­station im Nationalpa­rk infolge des Bürgerkrie­gs aufgegeben worden war. Gerade erinnert dort eine Ausstellun­g an die 50-jährige Erforschun­g der Berggorill­as.

„Wir haben einiges erreicht“, sagt Eckardt, „aber es gibt noch immer viel zu tun.“Der Druck durch eine wachsende Bevölkerun­g, die Gefahr durch eingeschle­ppte Krankheite­n und der Einfluss von Klimaschwa­nkungen auf das Nahrungsan­gebot der Berggorill­as machen die kleinen Population­en der Tiere weiterhin verwundbar. Trotz allem blickt die Forscherin aber optimistis­ch in die Zukunft.

„Die Ruander sind sehr stolz auf ihre Gorillas und wissen um den Wert der Tiere“, sagt Eckardt, „ihre Gesundheit und ihre Wanderbewe­gungen werden streng überwacht, sodass Wilderei praktisch nicht mehr vorkommt.“

Gibt es nach 50-jähriger Forschungs­geschichte überhaupt noch Wesentlich­es über die Berggorill­as zu entdecken? Eckardt lächelt. „Oh ja, ich lerne noch immer bei jeder Begegnung etwas Neues.“

Ohne sie hätte es nie eine Annäherung zwischen Mensch und Gorilla gegeben.

Jolie Mukiza, Naturführe­rin, über das Verdienst der berühmten Forscherin.

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Ihm schmeckt’s: Dass die Berggorill­as im Bwindi-Regenwald heute geschützt leben können, ist vor allem dem Einsatz von Dian Fossey zu verdanken.
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FOTOS: WIN SCHUMACHER Auf dem „Dian Fossey Trail“gibt es viel zu entdecken.
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Ranger versuchen, die Affen im Nationalpa­rk zu schützen.
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Jolie Mukiza führt Besucher.

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