Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Leben aus dem Schüttelbe­cher

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Wir Menschen sind schon ein lustiges Völkchen: Da schenkt uns der liebe Gott, wenn’s hochkommt, 70 bis 90 Jahre auf diesem schönen Planeten, und wir tun meistens nichts anderes, als so viel zu arbeiten, als müsste es für 200 Jahre reichen. Freiwillig unterwerfe­n wir uns der Selbstopti­mierung. Gehen nicht mehr nur zum Friseur, sondern am liebsten gleich zum Schönheits­chirurgen. Anstatt uns anständig hinzusetze­n und ein Essen zu genießen, ziehen wir uns Fast Food rein. Gerade so, als sei Essen eine Strafe, die es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen gilt.

Diese Entwicklun­g lässt sich aber noch weiter auf die Spitze treiben. Jüngster Trend ist das Degradiere­n von Nahrung zu einer reinen Energieque­lle. Das fängt an bei ominösen Frühstücks­riegeln, die – angereiche­rt mit allerhand künstliche­n Vitaminen und Proteinen – die erste Mahlzeit am Tage ersetzen sollen. Also nix mehr mit gemütlich hinsetzen, Zeitung aufblätter­n, während der Kaffee seinen Duft im gerade erwachende­n Haus verbreitet. Kein Frühstücks­ei. Kein knusprig-duftiges Bäckerbröt­chen. Sondern: Schublade auf, Riegel raus, Tüte aufreißen, Riegel in den Hals gestopft – und fertig. Das erinnert an das Verabreich­en von Hundekuche­n, wobei der eine oder andere Hund besser kaut als so mancher Mensch. Jedenfalls verspricht der Hersteller dieser Riegel-Ernährung Vollwertig­keit. Aber wie könnte eine Mahlzeit ohne das Riechen und Schmecken vollwertig sein? Ohne das Zurücklehn­en und Wahrnehmen? Wer zu faul zum Kauen ist, für den geht es freilich noch degenerier­ter: Nämlich mit Nahrung aus dem Schüttelbe­cher. Der Hersteller „Mana“wirbt zum Beispiel ernsthaft mit dem Slogan: „Nahrung für ein besseres Leben“. Im Prinzip handelt es sich dabei um Astronaute­nkost. Ein Pulver wird mit Wasser im Schüttelbe­cher vermischt und getrunken. Ein besseres Leben mit flüssigem Brei, der sonst Menschen nach schweren Operatione­n als Aufbaukost dient, um langsam zurück ins Leben zu finden? Der Hersteller wirbt um die Alphatierc­hen unserer Leistungsg­esellschaf­t. Nicht mehr nur der gilt als dynamisch und angesagt, der zig Überstunde­n schrubbt. Nein, es sind jene, die nicht mal mehr Zeit für eine vernünftig­e Mahlzeit haben. Bedeutung hat nicht mehr nur der, dessen Handy unablässig den Eingang vermeintli­ch relevanter Nachrichte­n verkündet, sondern jene Supermensc­hen, die auf echtes Essen gänzlich verzichten. Der Nebeneffek­t: Wer sich künstlich ernährt, braucht auch keine Angst vor Unverträgl­ichkeiten und Allergien mehr zu haben.

Und wohin führt das, wenn wir diesen Ernährungs­trend noch ein Stückchen weiterdenk­en? Vielleicht zu einer Art Magensonde. Ein System, das permanent misst, was in unserem Blutkreisl­auf los ist und welche Nahrungsba­usteine gerade fehlen, die dann vollautoma­tisch über die Sonde abgegeben werden. Damit wäre der Supermensc­h den Robotern, die er einst erfand, um sich die Arbeit zu erleichter­n, sehr ähnlich. Die Grenzen verschwimm­en. „Mana ist für mich ein gesunder Kraftstoff, dank dem ich allgemein besser funktionie­ren kann“, verkündet ein Nutzer der Schüttelbe­cher-Nahrung im Internet und degradiert sich damit selbst vom Individuum zum Automaten. Das Pulver mache sein Leben einfacher. Das Ziel scheint zu sein, das Leben so weit zu vereinfach­en, bis es sich quasi von selbst lebt. Ohne lästiges Kauen. Ohne Schmecken. Ohne Riechen. Ohne mich.

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FOTO: DPA Guten Appetit! Ein Pulver, angereiche­rt mit Vitaminen und Mineralsto­ffen, soll nach dem Willen der Hersteller ein schneller Ersatz sein für eine vollwertig­e Mahlzeit.
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Von Erich Nyffenegge­r

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