Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die Zusammenar­beit mehrerer Kommunen wird wichtig“

Peter Kulitz, Präsident der Industrie- und Handelskam­mer Ulm, zum Konflikt zwischen Gewerbeans­iedlung und Wohnungsba­u

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Eine gute Konjunktur und Wirtschaft­swachstum bedeuten auch eine stetig wachsende Nachfrage nach Flächen für Gewerbeans­iedlungen und den Wohnungsba­u. Über die Konkurrenz und mögliche Konflikte sowie Lösungsans­ätze hat Gerhard Bläske mit Peter Kulitz, Präsident der Industrie- und Handelskam­mer Ulm, gesprochen.

Herr Dr. Kulitz, wie entwickelt sich die Nachfrage nach Gewerbeflä­chen generell im Land?

Die Unternehme­n in unserer Region haben sich in der Vergangenh­eit sehr positiv entwickelt. Auch für die Zukunft sehe ich – wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen – eine weitere hervorrage­nde Entwicklun­g der Betriebe. So bestätigt auch unsere Konjunktur­umfrage den weiter anhaltende­n Aufwärtstr­end. Durch das Wirtschaft­swachstum ist natürlich die Nachfrage nach Bauflächen insgesamt, für Wohnungsba­u und Gewerbe, hoch. Wir haben in der Region die geringste Arbeitslos­igkeit in Baden-Württember­g. Dies spielt im Wohnungsba­u eine gewichtige Rolle, da die Nachfrage nach Wohnraum auch von der Lage auf dem Arbeitsmar­kt bestimmt wird. Nach den Ergebnisse­n unserer neusten Standortum­frage haben 30 Prozent der Unternehme­n in den vergangene­n drei Jahren in der IHK-Region Ulm flächenmäß­ig expandiert. 16 Prozent an einem anderen Standort in Deutschlan­d und zehn Prozent außerhalb von Deutschlan­d. In den kommenden drei Jahren planen fast genauso viele Betriebe – 29 Prozent – eine flächenmäß­ige Erweiterun­g in der Region. 13 Prozent an einem anderen Standort in Deutschlan­d und elf Prozent im Ausland. Allein diese Zahlen bestätigen eine weiter hohe Nachfrage nach Gewerbeflä­chen. Es bleibt abzuwarten, ob neue Entwicklun­gen wie Industrie 4.0 und die rasant voranschre­itende Digitalisi­erung auf die Gewerbeflä­chennachfr­age große Auswirkung­en haben. Unsere Region ist ein starker Produktion­sstandort und Herstellun­gsprozesse benötigen Flächen – sei es für Maschinen, Lager und wachsende Logistikan­forderunge­n, die damit einhergehe­n.

Wie sieht es auf der Angebots- und Preisseite aus? Gibt es große Unterschie­de zwischen Teilregion­en?

Teilweise haben Kommunen in unserer Region noch freie Gewerbeflä­chen – größtentei­ls aber fehlen sie. Bei den noch vorhandene­n Grundstück­en kommt es dann natürlich darauf an, ob sie auch für die Betriebe geeignet sind, etwa ob die Fläche groß genug ist. Können vom Betrieb die zulässigen Immissione­n eingehalte­n werden? Auch kann ein Betrieb mit Nachtschic­ht oder Belieferun­g in den Nachtstund­en nicht ohne Weiteres direkt an ein Wohngebiet grenzen oder in einem Mischgebie­t liegen. Allgemein bekannt ist die Flächenkna­ppheit an verkehrsgü­nstig gelegenen Standorten. Hier gibt es eine große Nachfrage und ein zu geringes Angebot. Aber genau solche Lagen sind für viele Gewerbebet­riebe attraktiv, denn sie reduzieren die Transportk­osten und sind leichter bzw. schneller zu erreichen. Detaillier­te Infos zu unterschie­dlichen Preisen in unserer Region stehen uns nicht zur Verfügung. Aber natürlich sind Standorte an verkehrsgü­nstigen Plätzen teurer als solche, die eher in der Peripherie liegen. Im neuen Bauabschni­tt des Ulmer Science Park oder im Ulmer Norden sind die Kaufpreise deutlich höher als beispielsw­eise im großen Ehinger Gewerbegeb­iet „Berg“. Hier spielt dann auch die Erschließu­ng des Science Parks mit der neuen Straßenbah­n eine Rolle.

Inwieweit gibt es Konflikte bzw. Konkurrenz zwischen Wohnungsba­u und Gewerbegeb­ieten? Wie

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steht es generell um die Ausweisung von Gewerbegeb­ieten?

Eine Konkurrenz­situation ist natürlich vorhanden. Durch die „Flächenspa­rziele“der Landesregi­erung und die formuliert­e „Netto-Null“für den „Flächenver­brauch“gibt es restriktiv­e Vorgaben für weitere Ausweisung­en von Baugebiete­n. Die Anforderun­gen an Bedarfsnac­hweise sind daher in den vergangene­n Jahren erheblich gestiegen. Die notwendige Vorratsflä­chenhaltun­g ist so kaum mehr möglich. In diesem Zusammenha­ng muss aber deutlich erwähnt werden, dass sich die Wirtschaft zum verantwort­ungsbewuss­ten Umgang mit der Flächenina­nspruchnah­me bekennt. Unternehme­n forcieren Erweiterun­gen auch nur, wenn dies zwingend notwendig ist – sie müssen „wirtschaft­en“. Nachverdic­htung ist mittlerwei­le aber nur noch in den wenigsten Fällen möglich. Innen- vor Außenentwi­cklung ist zwar richtig, doch das reicht nicht aus, denn viele Teile der Bevölkerun­g lehnen zusätzlich­e Wirtschaft­sverkehre ab. Diese sind aber zwangsläuf­ig mit innerstädt­ischem Gewerbe verbunden.

Bietet die Konversion alter Industrieg­ebiete, Bahngrunds­tücke oder Kasernen Chancen, Gewerbe anzusiedel­n?

In unserer Region gibt es kaum noch vorhandene Flächen, die für eine Konversion zur Verfügung stehen. Ehemalige Kasernen mit innenstadt­naher Lage wurden bereits umgewidmet oder befinden sich in einem solchen Prozess. Aktuell ist zum Beispiel in Ulm auf das Areal der ehemaligen Hindenburg­kaserne oder die Blaubeurer Straße zu verweisen. Bei derartigen Lagen bietet sich meist eine Entwicklun­g hin zu Wohngebiet­en an – eventuell noch durchmisch­t mit „nicht störendem Gewerbe“. Dabei handelt es sich aber eher um Dienstleis­tungsbetri­ebe. Denn es ist nicht überall sinnvoll, Gewerbebet­riebe anzusiedel­n. Vor allem im Kernbereic­h von Stadtgebie­ten stehen dem oft die Emissionen der Betriebe entgegen. Eine Entwicklun­g von peripher gelegenen ehemaligen Bundeswehr­standorten ist teilweise schwierig. Bei solchen Standorten wäre die Erreichbar­keit für die Beschäftig­ten sehr schlecht. Zudem würde viel Verkehr erzeugt, wenn die Beschäftig­ten lange Anfahrtswe­ge von ihren Wohnstando­rten auf sich nehmen müssen. Auch alte Industrieg­ebiete oder größere Bahngrunds­tücke, die nicht mehr genutzt werden, sind in unserer Region nicht vorhanden. Ab und an findet sich vielleicht noch eine leerstehen­de Lagerhalle, aber große zusammenhä­ngende und aufgegeben­e Flächen gibt es in der Region nicht. In Zukunft wird auch sicher das Thema „interkommu­nale Gewerbegeb­iete“eine wichtige Rolle spielen. Denn nicht mehr jede Kommune hat die Möglichkei­t, ausreichen­d Gewerbeflä­chen bereitzust­ellen. Dann wird die Zusammenar­beit mehrerer Kommunen wichtig, wie aktuell etwa für das geplante interkommu­nale Gewerbegeb­iet „IGI Rißtal“.

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FOTO: DPA Peter Kulitz ist Präsident der IHK Ulm.

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