Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
NOTdeutscher Handkuss für Großmutter Goretzka
Das Wort zum Nordderby sprach ein Österreicher: „Es war“, sagte also Zlatko Junuzovic, „ein zerfahrenes Spiel. Irgendwie war es ein gerechtes Unentschieden.“Werder Bremens Kapitän hatte reichlich Zeit gehabt, sich sein Urteil zu bilden – von der Bank aus. Nach 63 Minuten dann gab der 30-Jährige beim 0:0 in Hamburg sein Saisondebüt, genesen von hartnäckigen Achillessehnenbeschwerden wurde er zum belebenden Element im müden Bremer Mühen. Der HSV hatte seinen Auffälligsten da gerade auf die Bank geholt: Tatsuya Ito, 20 Jahre jung, aus Taito/Tokio, dribbelte, bis die Krämpfe kamen. Das Rund applaudierte, Trainer Markus Gisdol lobte: „Ich dachte: ,Gebt Ito den Ball, der hat Aktionen!‘“Hatte er bislang ausnahmslos im Regionalliga-Team der Hanseaten. Und jetzt überraschte der Japaner alle – auch die Reporter, die nach Schlusspfiff investigativst nach der korrekten Größe des quirligen Linksaußen forschten: 1,63 Meter? 1,65? „Ich bin 1,68 Meter groß – mit Schuhen.“
Zahlen sind ja oft Schall und Rauch; in Hamburg allerdings haben sich die
41 (!) Fouls eingeprägt, die die Statistiker in der Verteilung 13 (HSV) zu
28 (Werder) notiert haben. Knapp unterm Saisonrekord (43), augenfällig,
weil anderweitig Zählbares fehlte: Die Platzherren sind nun seit fünf Spielen torlos. Werders Serie ohne Sieg dauert – saisonübergreifend – sogar schon zehn Wochenenden. Da durfte das Wortspiel vom „NOTderby“in den Sonntagszeitungen natürlich nicht fehlen, da geriet selbst die späte Einwechslung von Jann-Fiete
Arp auf Hamburger Seite zur Randnotiz. Der Gymnasiast (eine Ballberührung) ist der erste Akteur der Liga-Geschichte, der im Jahr 2000 geboren wurde. Und gilt als Versprechen für die Zukunft. DFB-Sportdirektor
Horst Hrubesch weiß: „Der Junge hat was. Eigentlich hat er alles.“
Einer, der auch ziemlich was hat – ● vor allem einen Torriecher –, ist Martin Harnik. Noch’n Österreicher mit Nordbiografie. Und 59 Bundesligatreffern
nach dem feinen Kopfball zum zwischenzeitlichen 1:1 für Hannover 96 in Mönchengladbach. Erfolgserlebnis Nummer 60 aber blieb verwehrt, und das wurmte gewaltig. Weil das Tor leer und die Torentfernung überschaubar war. Zwei, drei Meter, 87. Minute zudem. Ihlas Bebou hatte quergelegt, spät zu sehen, schwer zu nehmen. „Der Ball kam sauscharf, der kann reinkullern oder aus dem Stadion fliegen.“Er knallte an die Latte, was Martin H. zu einem herzhaften „Sch...“veranlasste. In Austria feierte alsbald der hübsche Fachterminus „Sitzer“fröhliche Urständ (= ein Schuss, der hundertprozentig sitzen sollte).
Mitnichten als „Sitzer“gesehen worden ist hierzulande bis dato der Videobeweis. Nun aber gab es Lob. Bei Gladbachs 2:1-Erfolg. Von – Achtung! – den Hannoveranern, die durch
Thorgan Hazards Foulelfmeter in der Nachspielzeit noch verloren. Schiedsrichter Christian Dingert hatte nach einer Grätsche von 96-Verteidiger Salif Sané gegen Vincenzo
Grifo sofort auf den Punkt gezeigt. Sanés Kollegen reklamierten eine Schwalbe, der Unparteiische hielt Rücksprache mit Wolfgang Stark in der Kölner Videozentrale, sah sich die Szene noch einmal selbst auf dem Monitor an. Und blieb bei seiner Entscheidung; er habe sie als „bestätigt empfunden“. 96-Manager Horst
Heldt sagte später am Sky-Mikrofon: „Ich habe mir das gerade dreimal angeschaut. Sie haben da alles ausgeschöpft, sie haben sich beraten und dann hat er es sich noch einmal angeschaut. Ich denke, so wie man es anhand der Bilder sieht, ist es auch okay, wenn man das pfeift.“Auswärtspunkt futsch – umso mehr deshalb: Hut ab!
Auch vor Leon Goretzka. Per gefühlvollem ● Freistoß hatte der Nationalspieler die Schalker Führung gegen Bayer Leverkusen erzirkelt, später allerdings einen – richtig: – „Sitzer“ungenutzt gelassen: drüber! Freistehend! „Ich drehe mich und verliere die Orientierung. Meine Oma hätte den auf jeden Fall gemacht.“Für Schalke 04 hieß das: zwei Zähler verschenkt beim 1:1. Für Großmutter Goretzka könnte es heißen: attraktive Angebote! In NOTdeutschland (bei allem Respekt vor Bremens Beleber und Hamburgs Jugend) würde die Dame genommen werden. Sofort. Mit Handkuss.