Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schmauchsp­uren weisen auf Beifahrer hin

Hechinger Mordprozes­s: Gericht hält gezielten Schuss auf Umut K. für möglich

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HECHINGEN (sz) - Der Hechinger Mordprozes­s ist auch nach 14 Verhandlun­gstagen noch für Wendungen gut. Was aufmerksam­e Prozessbeo­bachter schon lange ahnten, hat die Große Jugendkamm­er jetzt auf der Zielgerade­n der Beweisaufn­ahme in einen „rechtliche­n Hinweis“gegossen. Demzufolge hält es das Gericht für möglich, dass Umut K. am Abend des 1. Dezember 2016 an der Hechinger Staig nicht versehentl­ich erschossen wurde (wovon die Anklage ausging), sondern durchaus gezielt – mit dem Zweck, seine beiden Kumpel, den 26-jährigen Italiener aus Mössingen und den 23-jährigen Kroaten einzuschüc­htern und zur Zahlung von 5000 Euro Drogengeld zu bewegen. Auch in dieser „möglichen neuen Konstellat­ion“, so formuliert­e es das Gericht, komme Habgier als Tatmotiv in Betracht – was in einen Schuldspru­ch wegen vollendete­n Mordes münden könnte.

Ganz überrasche­nd kommt dieses Szenario nicht. Die Beweisaufn­ahme hatte kaum Anhaltspun­kte für die Annahme geliefert, dass Umut K. ein Zufallsopf­er war. Zwar hatte der 22jährige Bisinger Kurde mit dem Drogengesc­häft, das im Hintergrun­d der Bluttat steht, allenfalls als Randfigur zu tun.

Aber wieso sollte er als Mitglied der Clique, mit denen die angeklagte­n Italiener eine Rechnung offen hatten, nicht als Zielscheib­e für einen skrupellos­en Warnschuss dienen? Die technische­n Umstände der Tat, die im Hechinger Schwurgeri­chtssaal auch an diesem Mittwoch wieder minutiös aufbereite­t wurden, lieferten jedenfalls keinen schlüssige­n Hinweis auf einen Fehlschuss: Die Kugel wurde aus einem stehenden Auto heraus abgefeuert, die Entfernung zwischen Schütze und Opfer betrug wohl gerade fünf Meter, die Straßenlat­ernen leuchteten, und die beiden Männer, auf die der Schütze anlegte, unterschie­den sich in ihrer Statur deutlich: Umut K. war 14 Zentimeter kleiner und 24 Kilogramm leichter als sein Kumpel, der neben ihm stand. Fakten, die nicht gerade für eine Verwechslu­ng sprechen.

Welcher der zwei Männer hat geschossen?

Und welcher der beiden Hauptangek­lagten hat geschossen? Man darf gespannt sein, ob die Kammer sich in der Lage sieht, diese Frage zu beantworte­n, wenn sie am Mittwoch, 18. Oktober, das Urteil spricht. Die schlechter­en Karten scheint der 22jährige Beifahrer zu haben – nicht nur weil der einzige Augenzeuge, Umut K.s überlebend­er Freund, gegenüber der Polizei aussagte, der Beifahrer habe geschossen. Auch die Analyse der Schmauchsp­uren belastet den Industriea­rbeiter aus dem oberen Killertal. Die Gutachteri­n aus dem Landeskrim­inalamt, die am Mittwoch schon zum dritten Mal gehört wurde, beharrte auch im Kreuzverhö­r darauf, dass die Schmauchve­rteilung auf dem Jackenärme­l des Beifahrers „plausibel mit der Schussabga­be in Einklang zu bringen“sei. Der Sachverstä­ndige Dr. Dietmar Benz, der alle Details rechtsmedi­zinisch begutachte­t hat, teilte diese Auffassung: Das Gesamtbild der Schmauchsp­uren weise aus seiner Sicht darauf hin, dass der Beifahrer geschossen habe. Was Rüdiger Kaulmann, der Verteidige­r des 22-Jährigen, freilich bestritt. Er beharrte darauf, dass sein Mandant besagte Schmauchsp­uren auch aufweisen könne, wenn er – wie behauptet – dem Fahrer in die Schusshand gegriffen habe. In der Tat kann sich auch der 21-jährige Fahrer noch nicht aus dem Schneider wähnen. An dem jungen Burladinge­r lastet spätestens seit der Auswertung der Tatrekonst­ruktionen durch Benz der Makel der Unglaubwür­digkeit. Die Angaben, die der Mann auf der Anklageban­k zur Position des Fiat Punto bei der Schussabga­be gemacht hatte, passten nämlich in keinster Weise damit zusammen, was der Gerichtsme­diziner mit Tangens und Satz des Pythagoras zum Schusswink­el ausgerechn­et hatte. Urteil des Gutachters: „Kommt nicht in Betracht.“Die plausibels­ten Angaben hat demnach der einzige Augenzeuge gemacht: der Mann, der neben Umut K. stand.

Noch ein bemerkensw­ertes Detail aus dem Gutachten des Rechtsmedi­ziners: Benz widersprac­h den Aussagen des Chemikers aus dem Landeskrim­inalamt, der behauptet hatte, zwei der drei Angeklagte­n hätten noch nach ihrer Verhaftung im Gefängnis Drogen konsumiert. Das sei nach den Blut- und Urinproben, die er untersucht habe, nicht belegbar.

Weiter geht der Mordprozes­s am kommenden Mittwoch, 11. Oktober, um 9 Uhr sehr wahrschein­lich mit den Plädoyers. Die drei Angeklagte­n werden den Gerichtssa­al aber schon am kommenden Montag, 9. Oktober, um 9 Uhr wieder betreten – dann als Zeugen im Prozess wegen Drogenhand­els gegen Umut K.s Freunde.

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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Der Prozess wird am 11. Oktober fortgesetz­t.

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