Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Angeklagter will sich nur verteidigt haben
Prozessauftakt wegen versuchten Mords – Polizisten sollen bedroht und beleidigt worden sein
BAD SAULGAU - Beim gestrigen Prozessauftakt der Schwurgerichtsverhandlung wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Ravensburg hat der 37-jährige Angeklagte aus Bad Saulgau ausgesagt, er habe einen Polizisten am Morgen des 10. Januar dieses Jahres in einer Bäckerei in Bad Saulgau nicht töten, sondern sich verteidigen wollen. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe dem Polizisten zuerst mit der Faust ins Gesicht geschlagen und soll dann versucht haben, ihm die Dienstwaffe zu entreißen. Drei Tage zuvor soll der Angeklagte in seiner Wohnung zwei Polizisten beleidigt und bedroht haben.
Mit Handschellen und Fußfesseln wurde der 1,90 Meter große und kräftige Mann von zwei Justizbeamten in den Sitzungssaal eins geführt. Seit etwa einem halben Jahr sitzt er in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Ravensburg. Der in Bosnien aufgewachsene Angeklagte, dessen Mutter früher für die bosnische Polizei in der Verwaltung gearbeitet hatte, ist seit mehr als zehn Jahren geschieden und hat keinen Kontakt mehr zum gemeinsamen 13jährigen Sohn, der ihn offenbar nicht mehr sehen will und von seinem Vater an Weihnachten 2016 keine Geschenke annehmen wollte. Das war wahrscheinlich der Hauptgrund, warum der Angeklagte nach sieben Jahren Abstinenz wieder damit angefangen hatte, Kokain zu konsumieren. Immer wieder betonte er, dass er nicht mit Rauschgift gehandelt habe, sondern es ausschließlich zum Eigenkonsum gekauft habe.
Am Abend des 7. Januar klingelten zwei Polizisten des Polizeireviers Bad Saulgau an der Wohnungstür des Angeklagten, weil sich Nachbarn über zu laute Musik aus der Wohnung des 37-Jährigen beschwert hatten. Einer der beiden Polizisten, der als Zeuge geladen war, erinnert sich noch gut an den Einsatz wegen nächtlicher Ruhestörung. „Der Angeklagte sagte uns, er könne machen, was er wolle.“
Mann war öfter auf Krawalle gebürstet
Dann wollte der Angeklagte die Tür wieder zuschlagen, die Polizisten drückten aber mit der Hand dagegen und stellten den Fuß dazwischen. Dem Polizisten, der gestern aussagte, sei aufgefallen, dass der Angeklagte überaus aggressiv gewesen sei. „Er war auf Krawalle gebürstet, wollte mit den Fäusten auf uns einschlagen.“ Der Polizist setzte deshalb Pfefferspray ein und konnte gemeinsam mit seinem Kollegen den Mann in dessen Wohnung überwältigen und ihm auf dem Sofa Handschellen anlegen.
Der Mann sei außer sich gewesen, drohte den Kollegen damit, sie umzubringen, beleidigte sie aufs Übelste. „Ich schlage euch tot“, sagte er – so die Aussage des Polizisten – und: „Ich trinke euer Blut.“Der Polizist – ein erfahrener Streifenpolizist – habe die Drohungen ernst genommen. „Es herrschte eine explosive Stimmung.“Der Mann wurde in Gewahrsam genommen, mehrere Tüten Kokain in seiner Jacken- und Hosentasche gefunden. 20 Gramm Kokain für 1200 Euro hatte der Angeklagte gekauft.
Der Angeklagte, dessen Freundin und dessen Bruder in den Zuhörerrängen saßen, schilderte den Vorfall anders. Er habe die Musik nach der ersten Verwarnung der beiden Polizisten leiser gedreht. „Sie kamen aber nochmal. Ich öffnete die Türe und bekam sofort Pfefferspray in die Augen“, so der Angeklagte, dessen Behauptung der Polizist verneinte. Überhaupt fühlte sich der Angeklagte ungerecht behandelt. Seine Wohnung sei ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht worden, sein Mobiltelefon sei ihm abgenommen worden, ohne dass es hierfür in den Akten eingetragen worden sei.
Chef schickt den Angeklagten wieder nach Hause
Das konfiszierte Mobiltelefon ist unter anderem Auslöser für die körperliche Auseinandersetzung in einer Bäckerei am Morgen des 10. Januar. Am Abend zuvor hatte der Angeklagte erneut Kokain konsumiert, war mit wenig Schlaf zu seiner etwa 15 Kilometer entfernten Arbeitsstelle gefahren, um gegen 4 Uhr morgens mit der Frühschicht zu beginnen. Sein Chef habe ihn wieder nach Hause geschickt, weil er bemerkte, dass es ihm nicht gut gehe. Aber anstatt nach Hause zu fahren, hielt der Angeklagte beim Polizeirevier in Bad Saulgau an, um nach seinem Handy zu fragen. Es konnte ihm offenbar nicht weitergeholfen werden.
Der Angeklagte betrat gegen 5.30 die Bäckerei, um dort zu frühstücken. Kurz danach betrat ein Polizist die Bäckerei, der tags zuvor bei der Wohnungsdurchsuchung dabei war. „Ich wollte mit ihm einfach nur reden“, sagte der Angeklagte. Der Polizist, der beim zweiten Verhandlungstag am 12. Oktober als Zeuge aussagen wird, wollte aber nicht mit ihm reden. Dann soll der Angeklagte dem Polizisten mehrmals mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der Polizist verlor dabei einen Zahn und erlitt Prellungen im Gesicht.
Er versuchte daraufhin, den Angeklagten nach draußen zu locken, um die Tür zu schließen. Der kräftige Mann gelang trotzdem wieder in die Bäckerei und wollte ihm mit Gewalt die Dienstwaffe aus dem Holster entreißen. Nur unter Einsatz des Schlagstocks konnte der Polizist dies verhindern. Der Angeklagte schilderte den Vorfall aus seiner Sicht. „Er wollte die Dienstwaffe gegen mich richten. Da habe ich seine Hand nach unten gedrückt.“Wenige Minuten kamen weitere Polizisten in die Bäckerei, um den Mann festzunehmen. Am Boden liegend soll er zu einem Polizisten gesagt haben. „Ich schwöre dir, ich besorge mir eine Waffe und erschieße dich.“
Der Angeklagte bestritt dies nicht, fügte aber zu seiner Entschuldigung hinzu, dass er mehrfach mit dem Schlagstock geschlagen wurde und die Polizisten auf ihm lagen. „So würde doch jeder reagieren“, sagte der Angeklagte, der sowohl in seiner Wohnung bei der Ruhestörung als auch in der Bäckerei aus Reflex gehandelt habe. Während seiner Untersuchungshaft hatte er sich bei dem in der Bäckerei verletzten Polizisten mit einem Brief entschuldigt und ein Schmerzensgeld in Höhe von 2000 Euro bezahlt.