Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Hühner-Paten bekommen Eier nach Hause geliefert
Solidarische Landwirtschaft nimmt Verbraucher in die Verantwortung – Informationsveranstaltung im Stadtforum
BAD SAULGAU - Was kann ich guten Gewissens noch essen? Mit dem Fipronil-Skandal sind Verbraucher ein weiteres Mal stark verunsichert worden. Dass es durchaus Möglichkeiten gibt, das fehlende Vertrauen wieder zurückzugewinnen, hat am Mittwochabend Siegbert Gerster bei der Vorstellung der Solidarischen Landwirtschaft erläutert. Was an diesem Abend schnell klar wurde: Von dieser Form der Bewirtschaftung profitieren alle Beteiligten.
Extra Zeit genommen für diesen Informationsabend im Stadtforum hat sich auch eine Mitarbeiterin des evangelischen Kinderhauses. Die fragt sich nicht erst seit dem jüngsten Eier-Skandal, welche Lebensmittel sie mit Blick auf die Gesundheit der Kinder bedenkenlos einkaufen kann. In der Kindertageseinrichtung wird seit jeher in der eigenen Küche täglich frisch gekocht. Schließlich tragen sie Verantwortung für das Wohl der kleinen Schützlinge.
Ein Weg aus dem Dilemma
Als einen möglichen Weg heraus aus diesem Dilemma stellte Siegbert Gerster aus Ravensburg die Solidarische Landwirtschaft vor. „Ich war anfangs auch skeptisch, aber es funktioniert“, sagte der gelernte Kaufmann, der sich im Alter von 45 Jahren entschlossen hatte, nochmal etwas „ganz anderes“zu machen. Das Prinzip dahinter ist im Grunde simpel: Verbraucher und Landwirte schließen sich zusammen und einigen sich auf ein Jahres-Budget. Die Gesamtkosten werden gemeinsam getragen, der Ernte-Ertrag wird unter den Anteilsnehmern aufgeteilt. Verbraucher und Landwirt übernehmen also gemeinsam die Verantwortung.
Es besteht jedoch kein Anspruch auf eine bestimmte Menge, schließlich gibt es auch „schlechte Erntejahre“. Die werden von der Solidargemeinschaft getragen. „Und der Landwirt kriegt trotzdem sein Geld“, sagte Siegbert Gerster und erzählte vom „Charaktergemüse“, das aufgrund seines wenig beliebten Aussehens in den Supermärkten keinen Platz bekommt. Die Solidarische Landwirtschaft sei, so Gerster, in mehrfacher Hinsicht eine „große Chance“. Nicht nur für die Landwirte, sondern auch für die Verbraucher und die Umwelt. Und für die Nutztiere. Denn auch die gibt es im Rahmen dieser landwirtschaftlichen Projekte. Rund 90 Hühner hält Siegbert Gerster aktuell in der Solidarischen Hühnergemeinschaft auf dem Hofgut Hinterstrauben in Ravensburg. Beim Betrachten der mitgebrachten Bilder – auch das mobile Hühnerhotel auf der grünen Wiese ist zu bestaunen – wird klar: Dieses Federvieh lebt im Paradies.
Gersters neues Hühnerprojekt läuft ab Frühjahr 2018 in Bad Waldsee an. Auch in Bad Saulgau haben sich bereits mehrere Hühner-Paten gefunden, die regelmäßig mit Eiern dieser rundweg glücklichen Hühner beliefert werden wollen.
Doch die Patengemeinschaft muss noch etwas wachsen, damit sich die Anlieferung lohnt. Das Prinzip dahinter ähnelt dem des Bio-Gemüse-Projekts. Die Hühner-Paten zahlen monatlich einen festen Betrag und werden – je nach Legefreude der Hühner – mit bis zu 22 Eiern pro Monat beliefert. Und: Die Bruderhähne werden nicht getötet. Deshalb erklären sich die Paten bereit, einmal pro Jahr „Gockel-Delikatessen“zu kaufen.
Und genauso wie bei den Gemüse-Abnehmern ist der intensive Kontakt zwischen Landwirt und Verbraucher ein wesentliches Element. Ebenso die Transparenz. In Rundbriefen wird über Aktuelles informiert, Rückmeldungen – ob Lob oder Kritik – sind ausdrücklich erwünscht. Gerster ergänzte, dass bei all diesen Projekten weder eine „Besserwisser-Mentalität“Platz finde noch das Verurteilen von Landwirten. „Die stecken ja in ihren Zwängen und müssen ihre Familien schließlich ernähren“, so Gerster.
Die Kinder des evangelischen Kinderhauses dürfen sich derweil schon mal auf den Besuch von glücklichen Hühnern in ihrem Garten freuen. „Wir wollen die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen deutlich ausweiten.“